KOELNISCHE RUNDSCHAU
W.P. SCHROEDER

Der Lulatsch ist nicht „gebügelt“

Herman van Veen über seine neue Show

24. feb 1989

Bonn. „Wenn ein Politiker so interessant wäre wie ein Kaninchen, dann würde ich über ihn singen.“ Herman van Veen, vielgeliebter Einzelgänger und unbeirrbarer Menschenfreund auf der Bühne, zieht mit seiner neuen Show Bilanz: „Bis hierher — und weiter“. Bisher hat er nicht über Politiker gesungen, und er wird es auch weiter nicht tun — nicht in Bonn, wo der „schütterblonde Lulatsch mit der Billardkugel-Stirn“ ab Montag für vier Abende in der Beethovenhalle auf tritt, und auch nicht in Köln, wo er anschließend (3. und 4. März) für zwei Abende in der Sporthalle auf der Bühne steht.


Auf der Bühne kann er seine 43 Jahre nicht leugnen. Seine blauen Strahle-Augen — lässiges „in-door“-Habit, Turnschuhe — machen ihn nur für Momente jünger, sitzt man ihm gegenüber. Den Sahnekuchen schiebt er beiseite, den heißen Kakao genießt er: „Ich bin Herman — und langsam in einem Alter, in dem man sich in Retrospektiven bewegt, über die Vergangenheit nachdenkt“: Bis hierher, obwohl er die Zukunft schon hinter sich hat. Der Künstler, der sich seit 16 Jahren als Poet und Clown, Sänger, Tänzer und Schauspieler auf den Bühnen Europas „pessimistisch-realistisch, also positiv“ um seine Liebe, seine Mutter, seine Kinder, die Bombe, Gott und die Welt kümmert, hat nachgedacht: „Die Welt wird immer kleiner; die Lösungen sind klar, aber keiner will diese Lösungen.“

Herman van Veen ist im Gespräch so persönlich wie auf der Bühne. Genauso unberechenbar häutet er sich, stellt sich nicht dar, fragt seinen Interviewer: Wie er es hält mit der Naivität? Ob er nicht auch versucht habe, Mut zu machen, und jetzt nach kollektiven Lösungen schreie? Jahrelang sei er mäandert zwischen der Koketterie mit dem Tod, den er in seiner neuen Show unbeirrbar optimistisch, nämlich schwanger schildert, und rastloser Romantik.

Herman zieht Bilanz, im Gespräch und auf der Bühne: Monatelange Tournee Iseit Oktober in Deutschland), jeden Tag fünf Stunden Probe, keine Zeit, mit der 70jährigen Mutter zu reden, „damit sie nicht das Gefühl hat, umsonst gelebt zu haben — sie hat immer nur für uns Kinder gelebt“. Er schildert seine Angst vor seinem Sohn, seinem Vater, vor sich selbst. Deckt Defizite auf, bei sich selbst, bei seinem Gegenüber: „Weil ich nicht da war, als mein Sohn im Fernsehen Wölfe sah oder ,Rocky Horror* — und nicht einschlafen konnte.“ Die wortlose Liebe seiner Zuhörer — bei der letzten Tournee waren es 500 000 — reicht ihm nicht, um die „Produktion von Härte“ um ihn herum zu kompensieren, den Prozeß der Versteinerung wenigstens zu bremsen.

Also hat er beschlossen, nicht mehr „gebügelt und zähnegeputzt“ in Rollen zu schlüpfen, sondern „in Licht“. Nicht zu bedrohen oder abzustoßen, bei eigenen Liedern er selbst, bei Jacques Brel dessen Instrument zu sein: „Ich lieb’ dich noch...“

Und das Ganze leider nicht auf den Bühnen der sogenannten großen Häuser. Herman van Veen macht aus seiner Enttäuschung kein Hehl, daß er sich meist nur „in irgendwelchen Gymnastikhallen einen Flur zum Tanzen und Spielen bauen“ muß, daß ihm die Schauspielhäuser verschlossen blzibcn, in denen die „tote Kunst im Luxus lebt, während die Lebenden im Off spielen müssen“.

Zweieinhalb Stunden mit Herman von Veen. Der Bühneneindruck täuscht nicht. Heinz Rudolf Kunze sagt es so: „Mit protestantischer Zuversicht berharrt er darauf, daß der Wettlauf trotz allem beherrschbar ist, daß unser heillos verspieltes Geschick doch noch die Märchenkurve kriegt.“



W.P. SCHROEDER