Minziglal Nachrichten
Oliver Kessler

Der letzte Eulenspiegel unserer Tage

24 jan 1998

Wie wird das nur, wenn Herman van Veen vielleicht in ein paar Jahren sein letztes Konzert gegeben, seine 100. Platte eingespielt haben wird und sich auf sein musikalisches Altenteil zurückziehen sollte? Zum Glück hat der holländische Liedermacher, Geiger, Tänzer und Ctown kürzlich erst die 50- überschritten und gerade einmal ein bißchen mehr als siebzig CDs auf dem Buckel. "Nachbar", sein neuester zwölftiteliger Geniestreich, fügt der langen Liste zunächst einmal eine weitere Produktion hinzu.


Selbst nach dreijähriger Abstinenz ist alles beim alten geblieben. Wer ein bißchen Zeit mitbringt, erlebt mit "Nachbar" den längsten Moment der Stille: knapp 40 Minuten. Ohne Orchester, aufgeblähte Arrangements und synthetische Untermalung singt van Veen mit daunenweicher Stimme meist nur zur Akustikgitarre und manchmal auch ein paar Piano- und Violinsprengseln.

Unterstützt von seinen beiden Begleitern Erik van der Wurff am Klavier und Saxophonist Nard Reijnders spielt der holländische Sänger seine schönste Rolle als letzter durch Konzerthallen vagabundierender Till Eulenspiegel unserer Tage mit viel Sinn für Lyrik und Gesellschaftskritik, von Ernst Jandl über Beziehungsfrust bis -lust.

Es ist schon seltsam, daß ein Holländer uns zeigt, was es heißen kann, Europäer, oder besser, Weltbürger zu sein.



Oliver Kessler