Main-Echo
Thomas Biermann

Ein Clown, der uns zu leben mahnt

Herman van Veen in der Alten Oper Frankfurt

24 jan 1982

Am linken Himmel hängt eine eisblaue Riesenkugel, rundrum alles in ein dunkles, fast magisches Dunkelblau getaucht, so daß man die Instrumente kaum erkennen kann. Im Hintergrund ein dumpfer, verhaltener Pulsschlagton. Ein Schlagzeuger wird erkennbar, blaßgrün angestrahlt; sein Eintrommeln übertönt immer mehr den dumpfen Urton.


Plötzlich kommt Hermann van Veen aas dem Publikum, verstreut Reis um sich. Eine weiß gekleidete, clownartige Gestalt, die nun völlig in den Vordergrund tritt. Die Kugel wird zu einer knallroten Sonne; die ins Rot getauchten Musiker werden deutlicher: rechts auf der Bühne der Schlagzeuger und der Bassist - der später auch Kontrabaß spielt links der Organist, der auch Flügel spielt.

Hermann van Veen bringt hier eine Art Sprechgesang, begleitet von einer sehr anschaulichen, pointierten Pantomime.
Schon in einem seiner ersten Lieder wurde eines seiner Grundthemen, die Beziehungslo- sigkeit zwischen Menschen, deutlich. "Sie kommt aus der Klinik und ist clean. Papa, Mama, ich bin wieder da, und ich drehe auch kein Wasser mehr auf!" Doch der Papa muß erst die Sportschau zu Ende sehen, die Mutter ist ebenfalls beschäftigt, und die Schwester ist wieder mal nicht da... Sie steigt auf das Dach: "Papa, Mama, ich kann fliegen!" Mit sehr ausdrucksstarken, pantomimisch gekonnten Flugbewegungen läuft Hermann van Veen, einem Vogel gleich, über die Bühne.
Auch in einem anderen Lied, dem Wiedertreffen mit einer früheren Geliebten gewidmet, klingt dieses Thema an: "Alles, was ich fühl', ist dein Blick, wie er kalt und kühl meinem ausweicht. Nein, es gibt nichts mehr zu sagen!"
Plötzlich ein Knall, ein Blitz, Rauchwolken steigen auf, hellgelbe, rote bis grüne Farben leuchten auf; es erinnert mich an einen Atompilz. "Wenn ein Mann jemanden totschießt, schießt er letzten Endes sich selbst tot", sagt er dann auch und führt Reagan als Beispiel an. Auf die Dritte Welt verweisend, bezeugt die von ihm zitierte Aussage, "indonesische Generäle sind die nettesten Menschen, die für Geld zu haben sind", diesen Zusammenhang. Und "ein Diktator hat eine Hand, aber Millionen Daumen drücken" die Geknechteten nieder. "Die Handlanger!" brüllt er, sie ermöglichen doch das Unterdrücken. Später erzählt er von 400000 Leuten auf der letzten phantastisch großen Friedensdemonstration in Amsterdam: "Vrede, vrede, vrede...", er animiert das Publikum, in dieses holländische Friedenslied einzustimmen.
"Hermann van Veen, wir kommen, um dich zu holen!" "Nein!", schreit er in lautem Widerstand und kommentiert, "das ist jedenfalls etwas, was wir tun können." Lauter Beifall! Jesus, Jesus, wo bist du? "Komm doch, zeig dich doch, oder hast du Angst, daß wir sehen, daß du nur ein winziges Männchen bist, mit roten Haaren und einer dicken Warze?" Existierst du überhaupt?
"Du wirst nötig gebraucht, überall stehen Raketen;... sonst finde ich meine Kinder nachher irgendwo schwarz auf dem Spielplatz!" Doch es erscheint kein Jesus, vielmehr verwandelt van Veen sich in einen giftgrünen Teufel, der herausfordernd und lachend durch die Gegend springt, von Blitzen umgeben, schließlich auf eine Stange hüpft und in einem Käfig landet; van Veen, gefangen, rüttelt, versucht, sich zu befreien, - vergeblich! Er findet seine Geige, fängt an zu spielen, doch wofür? Entmutigt läßt er die Geige wieder sinken.

Nach der Pause, in einer langen, mitreißenden Musikeinlage, in der er Rock-, Blues- und Jazzmusiker imitiert, wird van Veens schauspielerisches Talent besonders deutlich. Elegant, männlich, öfter einmal das Haar zurückstreifend, haucht er sein "Baby...". Dann wieder wirbeln bei einem Rock 'n' Roll all seine Körperteile durcheinander. Sich auf den "Donner in einem selbst", sein eigenes Herz und dessen Kraft zu besinnen, seine Gefühle auszudrücken und auszuleben, bevor es zu spät ist, "nein" zu sagen zu Unterdrückung und Abschreckung: Das sind seine Botschaften an uns. "Wenn nichts mehr geht, dann wird man klug, doch was fängt man mit dieser Klugheit an?", so hieß es dann auch in einer seiner Zugaben.

"Ich weiß, daß nur ein Mann gefällt, der sich nicht unterkriegen läßt und mit Zynismus über Wasser hält", sang er auch und stellte dieses chauvinistisch klingende Motto im folgenden ausführlich dar, wenn er sich etwa an die Frauen wandte, von wegen ihres "halbemanzipierten Getues".

Alles in allem ein sehr abwechslungsreiches Programm; clownhafte Gags wie "Jetzt bin tch eine Ente, ich sehe nicht so aus, aber ich fühle so" stehen neben sehr tiefsinnigen Beiträgen wie "Ich hab' ein zärtliches Gefühl für jeden Nichtsnutz, jeden Kerl, der frei herumzieht ohne Zweifel, der niemals Knecht ist, niemandes Herrn".

Die vielen ausdrucksreich gebrachten Rollen verschiedener Lebensseiten und der sehr vereinnahmende Hindergrund erschwerten es allerdings, Hermann van Veen persönlich zu empfinden; teilweise lenkt der Hintergrund ab, weil Pantomime, Text und Farben nicht mehr als Einheit zu verstehen sind, van Veens Bemühen um ein kommunikatives Beisammensein wird trotzdem deutlich.

Er geht immer wieder ins Publikum, verbeugt sich tief vor ihm und animiert sogar zu einem großen Rundtanz auf der Bühne.
Mehrere Zugaben endeten schließlich mit dem Lied "Ich lieb dich noch..." von Jacques Brel.



Thomas Biermann