Der Abend
JÖRG ALISCH

Prinz auf der Erbse

Jubel verpflichtet: Die zusammengestückelten Hariekinaden des Hermann van Veen

23 nov 1974

EIN GESTANDENES STÜCK SELBSTBEWUSSTSEIN betritt die Bühne des Humboldt-Saals im Urania-Haus, und das hat er auch nötig, dieser Hermann van Veen: Denn wenn einer aus Holland kommt, um hier sein Debüt zu geben, wenn einer eine Show mitbringt, die dodi auf recht wackligen Füßen steht, wenn einer, der nach eigenem Bekunden das "feedback" seines Publikums braucht, vor ein Auditorium tritt, das ihm so unbekannt ist wie dem Neugeborenen die Wiege - dann gehört dann doch schon eine ganze Menge Mut dazu. Und den hat er, der Hermann.


Anders nämlich läßt es sich nicht erklären, daß der junge Holländer ein Programm mit einer Selbstverständlichkeit abzieht, die ihn in anderen Häusern, vor einem anderen Auditorium glatt von der Bühne gefegt hätte. Aber zunächst einmal fegt der Harlekin selbst durch den abgedunkelten Raum: Es ist Mitternacht, Herr Aschinger, und Hermann kommt und bewirft seine Anhängerschar mit Erbsen. Der erste Gag sitzt, hat genau getroffen, am Kopf, und die biedere Anständigkeit, die im Parkett Platz genommen hat, freut sich auch schon das erste Bein aus.

Freilich, es war nur einer von vielen Jublem, die sich im Laufe des Abends breit machten, und die sich vermutlich heute abend, beim Wiederholungskonzert, erneut einschleichen werden. ? Aber hatte man wirklich Grund zum Jubeln? Ist Hermann van Veen wirklich die Neuentdeckung, als die ihn eine Gratis- Flüsterpropaganda im voraus schon gefeiert hatte? Man wird nicht so recht froh bei den Clownerien des Niederländers, der vom äußeren Erscheinungsbild bisweilen an den Sprößiing aus der Liaison zwischen Marlene Dietrich und Marty Feldmann gemahnt. Denn was da in rund zwei Stunden über die Bretter geht, ist so zündend nicht, als daß man ihm zu Füßen liegen könnte, ist eher zusammengesucht und ohne roten Faden aneinandergereiht.

Freilich, das Programm hat seine Spitzen, hat seine Höhepunkte wie etwa die Parodie auf den Pop-Star, der seinen farblosen Gig mit einem trockenen "Thank you" selbst aufwertet, aber diese Höhepunkte sind eben wirklich einsam:
Sie stehen im Raum und verpuffen, wenn Hermann van Veen sie nicht wieder einmal soweit überzieht, daß sie versickern.

Und das ist es, was man ihm anlasten kann, muß: Der Mann ist nicht dumm, hebt sich weit ab von der Masse junger Leute, die so leicht und gern Klein-Kaliber mit Klein-Kunst verwechseln. Van Veen ist keiner von jenen Dilettanten, die soziales Engagement als Etikett für bessere Verkäufe mit sich herumschleppen, ihm ist es ernst mit seinen Attacken gegen Kirche, Küche, Kinderkriegen, ihm ist es verdammt ernst, wenn er über die Zeitkrankheit Nummer eins herzieht: die Einsamkeit. Das freilich merkt man erst im Interview, auf der Bühne bleibt es doch recht fraglich.

? Es ist da wie mit den Hochzeiten: Will man auf zu vielen gleichzeitig tanzen, dann kann man sich leicht ein Bein brechen. Und Hermann van Veen, so will es scheinen, braucht noch den Streek-Verband. Denn daß er ein faszinierender Tänzer ist, ein Pantomime, ein Satiriker, ein Sänger, ein Parodeur - das hat er uns bewiesen. Aber bisweilen mutet es denn doch an wie absurdes Theater, das nicht so ganz absurd und nicht so ganz Theater ist: Der Mann nimmt sich Stilmittel aus allen gängigen Spielarten des Show-Geschäfts und stellt sie nebeneinander, anstatt sie zu verbinden, läßt sich von ihnen treiben, anstatt sie souverän zu beherrschen.

? Und schließlich seine Songs: Da muß noch dran gefeilt werden, reichlich, da fehlt noch einiges, ehe sie die beißende Schärfe eines Leonard Cohen, oder die lyrische Strenge eines Bob Dylan oder die ausgefeilte Skurrilität eines Hannes Wader oder die ironische Distanz eines Franz Josef Degenhardt oder auch nur die perfekte Klammotterie eines Ingo Insterburg erreicht haben. Sicher, Elemente von überall finden sich bei van Veen schon, aber es ist fast wie beim Sarotti-Mohr: Hier ein Stückchen, da ein Stückchen ...



JÖRG ALISCH