Voralberger Nachrichten
Andrea Fritz

Ich bin ein realistischer Pessimist

23. feb 1991

Er sitzt am Eckfenster einer Lecher Pension und betrachtet die Aussicht. Die nächsten zweieinhalb Stunden wird er immer wieder nach draußen blicken, weil ihn das Licht hier so fasziniert. Die Morgenröte, die Himmelfärbung über den Bergen, die ständige Veränderung.


Herman van Veen, das 45jährige Multitalent aus Utrecht, liebt Veränderungen. „In Holland weht immer der Wind, die Dinge halten nicht lang“, erklärt er, und augenzwinkernd: „Wenn hier heroben 23.000 Chinesen hinterm Berg stehen, sieht man sie nicht“.

Ein Clown mit roter Knollennase, einer, der mit seiner Boris-Becker-Parodie das Publikum zum Toben bringt, kurz darauf mit grellen Scheinwerfern und Maschinengewehrknattern ' aufschreckt und betroffen macht - jedoch im nächsten Augenblick schon wieder sein „zärtliches Gefühl“ für alle zum Ausdruck bringt. Wie ist er wirklich, dieser Meister der leisen Töne, der auch unheimlich laut und unbequem werden kann? Seine humanitäre Arbeit, die er als Gründer des Dritte-Welt-Hilfsvereines Colombine und als UNICEF-Botschafter leistet, ist ernst geneint dies spürt man bei jedem Wort.

Kwak ohne Matrosenanzug

Dennoch freut sich Van Veen über den kommerziellen Erfolg seiner vergnügten Musical- und Fernsehente Alfred Jodocus Kwak sehr. ,,Schließlich ist Alfred nicht irgendeine dumme Ente, sie macht Sachen, bewegt, Sachen-, hat ein Ziel.“

Tatsächlich dümpelt Alfred nicht im Seichten, es geht recht vergnügt, hilf- und lehrreich in dieser Kinderserie zu. Der singende Poet als Geschäftsmann, der an Schallplatten, Bilderbüchern, Plüschtieren u. a. mitverdient?
Herman van Veen klärt auf: Die sich im Handel befindliche Kwak-Kleidung wird teils in der dritten Welt hergestellt, der Verkaufserlös der Kleidung fließt zurück in das Hilfsprojekt Colombine. Detail am Rande: Alfred erhielt vom Disney-Konzem die Auflage, nie einen Matrosenanzug zu tragen.

Immer noch sitzt der Sänger ruhig da, blickt nach draußen, beobachtet das Licht. Lediglich seine regen, blitzblauen Augen verraten seine Energie, die auf der Bühne so deutlich spürbar ist. Van Veen unterhält nicht nur mit Musikalischem und Komischem, er spielt auch den Clown, der bei sbinem eigenen. Gjfftb.weint, einer, der den Tod bewußt,.in seia; Programm einbaut.
„In jueinefniAlter i beginnen viele*.oute Mauer urtj»ieh-aufziehen. Nkane-Neugier. wird jedoch1 immer großes. Das AJlsein leuchtet in der Zukunft, ich sehe ältere Leuter immer bewußter. Seltsamerweise tut meine Generation so* als würde sie nie sterben, dies ist ein großer Fehler.“

Gott ist kollektives Bewußtsein

Altern, Sterben - da drängt sich die Frage nach Van Veens Glauben auf. In Gedichten und Liedern äußert er sich kritisch über die Kirche und Gott, glaubt er überhaupt an einen unsterblichen Schöpfer? Nach kurzem Nachdenken erklärt er:
„Gott ist positives, kollektives Bewußtsein, oder anders: das Ge-' wissen gegenüber der Umwelt.“ Und lächelnd: „Wenn es mir gutgeht, bin ich sehr dankbar, wenn es mir verdammt schlecht geht, bin ich sehr religiös.“

Liebe zu den Dingen

Die Liebe zum Nächsten, die Liebe am und zum Leben - viele Lieder widerspiegeln Van Veens Einstellung. Ob in seinen Liedern nicht eines der größten Probleme unserer Zeit, die Umweltverschmutzung, zu kurz kommt? Und wieder antwortet der Holländer mit der Liebe. Kinder sollten Liebe zur Umwelt entwickeln. Auf drängende Umweltprobleme angesprochen, meint gier vierfache Vater: . „Ich bin ein realistischer Pessimist, also schon wieddr relativ optimistisch. Die 'Erde überlebt uns sicher, wir haben die Wahl. Kinder Tn sind dabei unsere Hoffnung." fi iX Nach so vielen ernsten-Themen möchte-ich vfissen, wann wir mit 3 einem weitefem Van-Veen-Konzert in Bregenz - drei waren es seit 1984 - rechnen können.

Im März 1992 startet seine deutschsprachige Tournee. Was fühlt Herman nach 120 Konzerten, ist er nicht völlig ausgepumpt? Der singende Poet weiß, was sein Publikum erwartet:
„Ich versuche auch beim letzten Konzert das beste zu geben. Die Leute spüren, ob man bei der Sache ist. Die Menschen kommen, um dich zu sehen, sie haben ihre Zähne geputzt, frische Unterwäsche an, sitzen erwartungsvoll auf ihren Stühle... Ich kann die Leute riechen, und dann bin ich wieder voll da.“ Die leichte Unbeschwertheit desjenigen, der eine Wäscheleine vom Traum zur Wirklichkeit knüpft, Sinn für jeden Unsinn zeigt und glaubt, daß die Bombe nie fällt, weicht langsam dem Nachdenken über Alter und Tod.

Jedoch, keine Angst, solange Herman van Veen sich noch freuen kann - dies wird wahrscheinlich ewig währen - wird er uns seine Freude und Liebe weiterhin musikalisch mitteilen.



Andrea Fritz