Kinzigtal Nachrichten
GUNTER REUS

Ein Wanderer zwischen Kunst und Kitsch

Herman van Veens zwiespältiger Abend in der Frankfurter Alten Oper

22 okt 1985

Er kommt herein mit einem traurig abgewetzten Mäntelchen, unter dem Arm den Geigenkasten, die Clownsnase im Gepäck, den weißen Teddybär. Ein übers Land fahrender Harlekin, Stehgeiger, armer Poet, Zauberer, spielendes Kind. Ein Multi-Media-Mensch: Herman van Veen.


Van Veen ist ein begnadeter, auch zur Koloratur noch begabter Sänger, ein engagierter Textemacher, ein hinreißender Tänzer, Mime und Pantomime. Er bedient sich einer hochkarätigen Band (Nard Rijnders, Cees van der Laarse, Chris Lookers, Erik van der Wurff), die die Mittel der Elektronik mit einer selten gewordenen, noblen Eleganz einsetzt. Doch die Summe der schönen Teile wird nicht wirklich zusammengehalten, zuviel Glanz verführt zu Haltlosigkeit. Herman van Veen ist ein, Gratwanderer zwischen Kunst und Kitsch.

Der Abend in der Frankfurter Alten Oper beginnt mit einem prachtvollen Lied Walthers von der Vogelweide. Van Veen interpretiert den melancholischen Text, die Hände in den Taschen, stimmungsvoll und dezent. Doch schon das nächste Lied (Von der Abtreibung), fast mit der gleichen musikalischen Phrasierung, überlädt die Stimmung — und stimmt nicht mehr. Ein eklektischer Zungenschlag und lyrische Beliebigkeit stellen sich ein.

Gleiches passiert immer wieder: er spricht einen wunderbaren Text über die Schönheit einer Fliege, schwingt sich hinauf zur Frage nach der Schöpfung — und fällt hinab in pastorale Penetranz, in die Harmonie von Harmonium und Weihrauch („Nun sei uns willkommen. Jesus, lieber Herr“).
Er spielt und singt von der Bahnhofsprostitution in fein angedeuteten Symbolen (Tanz mit einem leeren Kleid), knüllt das Kleid zusammen, es wird Ihm Kind, und nun lolgt ein Anti-Apartheids-Wiegenlied, das so authentisch ist wie der Heiland mit blonden Locken. Er läßt furios ein ganzes Bataillon von Soldatenclowns in die Apokalypse marschieren, prasselt nieder mit einem gewaltigen expressionistischen Sprachgewitter (Es blitzt. Gott macht ein Foto fürs Archiv“) und kann sich nicht enthalten, verdoppelnd, überdeutlich, jahrmarktschreierisch auch noch wirkliche Blitze und bengalische Lichtbömbchen auf der Bühne aufleuchten zu lassen.

Herman van Veen ist ein notwendiger Warner vor dem zerstörerischen Wahnsinn der Macht. Aber er ist auch in seine Effekte, sein Spiel verliebt. Er bleibt ein Kind, will es bleiben (das kokette Klagen über die Glatze). Das macht auch, daß viele seiner Texte, Lieder, Geisterbahnnostalgien — im kindlichen Stil, doch für Erwachsene — weniger überzeugen als seine echten Kinderlieder. Die „Musikfab.el von der Ente Quak“ (nicht minder engagiert für die bedrohte Welt übrigens), die der Goodwill-Botschafter der UNICEF kürzlich im Hamburger Schauspielhaus aufführte und von der in der Alten Oper nur wenig zu hören war, wirkt deshalb ungleich ehrlicher, geschlossener.

Geschlossenheit wird in van Veens Frankfurter Programm nur da deutlich, wo er sich ganz komödiantisch auslebt. Seine Taschenspielerei mit den Pingpongbällen, seine Parodie auf den Boxer, der Aggressivität durch autogenes Training abbaut, vor allem seine frivole Tennis-Pantomime in Zeitlupe gehören zu den köstlichen, versöhnenden und um jubelten Höhepunkten des Abends.

Und es ist auch der Clown Herman van Veen, der — die rote Nase vorgebunden — zu sich selbst sagt:

„Beherrsch dich, Herman, du bist in der Alten Oper. Sei nicht so pathetisch.“ '



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