Aachener Volkszeitung
WILHELM PETERS

Clown mit ernsten Absichten

Die unüberhörbaren Zwischentöne des Herman van Veen

22 okt 1979

Aachen. - Scheinwerferkegel strahlen den Pianisten an. Im gleißenden Licht spielt er eine sanfte Melodie. Nichts rührt sich. Man könnte die berühmte Stecknadel fallen hören. Zahllose Blicke wandern in Richtung Bühne hin und her; erwartungsvoll und angespannt. Sie alle haben die Rechnung ohne Herman van Veen gemacht. Der steckt nämlich voller Überraschungen. Wie ein Paukenschlag - im wahrsten Sinne des Wortes - betritt er Minuten später die Szene. Durch einen der hinteren Eingänge marschiert er, lautstark eine Trommel bearbeitend, durch den Saal und zeigt dem Publikum im fast ausverkauften Eurogress von vornherein wo's langgeht. Nämlich immer dort, wo es niemand erwartet. '


Fast drei Stunden später verläßt er die Bühne durchnäßt und alleine auf dem gleichen Weg und wird ein halbes Dutzend mal zurückgeklatscht, -gerufen und -getrampelt. Schließlich kommt er ein allerletztes Mal im weißen Bademantel, singt ein kurzes Lied und verabschiedet sich endgültig mit den Worten: "Laßt mich jetzt alleine, aber verlaßt mich nicht."

Was ist das für ein Mensch, dieser Herman van Veen, der so betroffen macht, aber auch so ungeheuer komisch sein kann? Sicher ein Allround-Künstler, der es schafft, Gedanken auf ein Minimum an Gesten, Gebärden und Worten zu reduzieren. Nicht mit dem Holzhammer, sondern in aller Stille und Sanftheit. Er ist Poet, Clown, Sänger, Geiger, Pantomime, Schauspieler, Musikant, Tänzer und Satiriker. Seine Töne sind die Zwischentöne. Er ist Entertainer genug, um mit tausend Leuten Gespräche unter vier Augen fuhren zu können. Jeden einzelnen spricht er an. Keiner kann ihm entrinnen. Alles geschieht wie selbstverständlich.

Bei seinen zahlreichen Kabinettstückchen gibt es Tränen zu lachen. Sekunden später kehrt wieder absolute Ruhe ein, denn er erzählt eine traurige Geschichte.
Eine junge Frau kommt aus der Klinik mit ihrem ersten Kind nach Hause. "Papa, Mama", ruft sie, da bin ich wieder."
"Ja, ja", sagt der Vater, "nach der Sportschau." - "Moment", ruft die Mutter, "ich telefoniere gerade." Ihre Eltern haben sie alleingelassen, denn sie reagieren nicht. Später ruft die einsame Tochter vom Dach: "Papa, Mama, seht mal, ich kann fliegen."

Man merkt van Veen an, daß er mitfühlt.
Ständig jongliert er zwischen Traurigkeit, Mahnung und Übermut. Spielt er den Clown, ist er an Komik kaum zu übertreffen. Er vollführt groteske Balanceakte auf dem Rücken seiner Themen und stellt oft so übertrieben dar, daß nichts mißzuverstehen ist.

Seine Show scheint nicht geplant, sondern spontan. Momentaufnahmen eines Nachdenkenden, der dauernd irgend etwas völlig unterwartetes macht. Sein System ist die Systemlosigkeit. Er läßt sich nicht in ein Schema pressen. Ein Abenteurer, der selbst ein Abenteuer ist, ein Clown, der es ernst meint, ein Entertainer mit Herz, dessen Offenheit erfrischt.

Herman van Veen und sein Publikum gehen in der Gewißheit auseinander, etwas Gemeinsames gemacht zu haben; sich aneinander gewöhnt zu haben.

Ihn kann man nicht einfach hinter sich lassen, abschütteln.
Etwas bleibt bestimmt haften:

Zufriedenheit, aber auch Betroffenheit.



WILHELM PETERS