Observer
Walter Kräutler

Figur gewordene Poesie

Herman van Veen von seinen Fans umjubelt

22. april 1993

Bregenz (VN) „Ein Lied verändert nicht die Weit, kann sie aber etwas lichter färben.“ Diese Textstelle aus einem der zauberhaften Songs des sensiblen holländischen Harlekins könnte man als Motto über die unaussprechlich empfindsam zärtlichen und auch aufwühlend tiefgründigen drei Stunden stellen, die die Fans aus nah und fern (schon Wochen vorher war das Konzert im Bregenzer Festspielhaus ausverkauft) in begeisterten Jubel versetzten.


Was sich bei der Österreich-Premiere des umwerfendsten Till Eulenspiegels unserer Tage ereignete, sprengte alle Grenzen herkömmlichen Entertainments. Van Veen, Sänger und Geiger, Pianist und Parodist, Tänzer und Schauspieler, Pantomime, Geschichtenerzähler und Clown, und dies alles in exzellenter Form, eroberte gleich zu Anfang mit seinem,um-werfenden Charme alle Herzen.
Natürlich liebt er sein Publikum und das Publikum liebt ihn. So floß der ansonsten so selten zu erlebende gegenseitig befruchtende Energiefluß ungehemmt von der Bühne in den Zuschauerraum und umgekehrt, Herman van Veens unübertroffene Größe der Kleinkunst oben und ein Publikum, jede Altersstufe inkludierend, von ebenfalls seltener seelischer Übereinstimmung.
Was würde sich wohl im Vergleich dazu bei einer Brucknersymphonie oder einer Wagneroper ereignen können, alle Zuhörer wie hier das Werk über alle Maßen kennen und lieben w'ürden („Man kann nur lieben, was man kennt“). Nur in kühnsten Träumen vorstellbar.

Kongeniale Klangkünstler

Mit seiner Liebenswürdigkeit zog Herman van Veen (hervorragend disponiert sein schöner lyrischer Bariton), unterstützt und ergänzt von seinen Freunden und überragenden Klangkünstlern Erik van der Wurff (Klavier und Synthesizer) und Nard Rejnders(Sax, Akkordeon, Klarier und Klarinette), eingebettet in eine sanft schillernde, sensible Lichtregie vom ersten Augenblick die offenen Herzen der Fans in Bann.
Mit sanftem Gefühl verpflanzte er in einer fesselnden Mischung aus positivem Humor (umwerfend frech und grazil seine Erotik) und tiefgründigem Ernst (viel ist von Schmerzen, Außenseitern, Sterben und Tod die Rede) seine poesievolle Philosophie in die Seelen seiner Fans.In einer Zeit des zunehmenden Bildschirmterrors und fortschreitender Trommelfellverschmutzung ist Herman van Veen, dem der Durchbruch schon 1973 mit „Ich hab ein zärtliches Gefühl“ mit seiner Lebensbejahung (seine Tournee-CD trägt den Titel „Ja“) und seinen leisen Tönen eine wohltuende Ausnahmeerscheinung.
„Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“: Van Veen läßt sich immer noch, nicht im Strome treiben, er stemmt sich unerschrocken dagegen und geht unbeirrt seinen Weg der Hoffnung, auch lange nach „fünf nach zwölf1.Wieviel Reserven an unbeirrbarer Menschenfreundlichkeit schlummern noch in diesem Künstler, wieviel Lust auf Leben mag dieser vielgeliebte Einzelgänger wohl noch zu versprühen? Einem Herman van Veen kommt man rezensierend nicht bei, mag die Rekonstruktion des von ihm Dargebotenen gerade noch gelingen, so verfehlt man schreibend doch mit Gewißheit das innerste Anliegen dieses rastlosen Romantikers mit dem Zauberstab der Fantasie. Botschaften? Er hat unzählige.
Für eine einzige wäre die Welt zu komplex und seine fröhliche Skepsis zu groß. Van Veen brennt, leuchtet, sendet, richtet auf, bespricht und besingt seine Freunde... /



Walter Kräutler