Sächsische Zeitung
Birgit Grimm

Clown sein, um immer im Gleichgewicht zu bleiben

22. Marz 1993

Im Gespräch mit Herman van Veen, der zwei Konzerte im Kulturpalast gab

Herman van Veen kam am Freitag abend genau so wie er vor sechs Jahren gegangen war: Mitten durchs Publikum im Dresdner Kulturpalast. Nach seiner dreistündigen Show stand er den Journalisten Rede und Antwort.



Sie haben die DDR mal mit zwei Worten beschrieben: Stacheidraht und Spitzensportler. Wie sehen Sie das Land heute?
Es ist sehr viel gebaut worden hier. Früher gab es ein Wir-Gefühl, und das ist jetzt völlig anders. Ich merke das an den Reaktionen im Publikum, die individualistischer sind. Die Leute sind oft traurig und verstört. Es wurde ihnen auch etwas weggenommen, was sehrgroßen Wert hatte. Zurück blieb eine große Leere. Die Mauer ist weg. Das war ein gigantischer Kaiserschnitt. Da ist unwahrscheinlich viel Sauerstoff reingeflogen, und manche Leute sind fast implodiert.

Wir haben zwar auch gelacht heute abend, trotzdem bleibt der Eindruck, Sie sind ein trauriger Clown geworden.
Nein, das Konzert wirkt nur sehr ernst. Ich habe die Show gechrieben für Deutschland. Im Westen wird sie mehr als Unterhaltung genommen, hier ist es eine echte, direkte Kommunikation. Weil die Probleme viel härter sind.

Ist das „Zärtliche Gefühl" Ihr Lieblingslied?
Es ist mein Leib-Lied. Das bin ich. Den i Text hat eine Jüdin geschrieben, und ich werde niemals etwas Besseres und etwas Klareres singen können als dieses Lied. Denn ich glaube, daß man nur in Wehrlosigkeit etwas erreichen kann, nie mit Verhärtung.

Haben Sie Feinde?
Ich kenne sie nicht, aberich bin sicher, daß es sie gibt.

Der Clown, der Sie auf der Bühne sind, ist keine Maske. Warum nutzen Sie dieses Mittel?
Ich brauche es für meine Standsicherheit, immer pial in meine Kindheit abzutauchen. Dann bin ich völlig frei, plaudere absoluten Blödsinn und improvisiere sehr viel. Ich weiß nicht, was ich heute wieder alles gerufen habe. Wenn ich mich erinnere, wie ich als Kind gedacht habe, gibt mir das die Leichtigkeit und die Abstraktheit, um danach mit Härte die gesellschaftlichen Analysen zu singen. Clown sein ist für mich absolut notwendig, um im Gleichgewicht zu bleiben.

Reich und berühmt sind Sie schon. Was möchten Sie im Leben außerdem erreichen?
Licht. Das klingt vielleicht vage oder abstrakt. Aber selbst in dieser blöden Szene mit dem Kubuk steckt wahnsinnig viel drin. Und wie die Leute darauf reagieren! Diese phantastische kollektive Energie - das ist Licht. Das ist Gleichgewicht. Respekt für das andere. Meine Hoffnung liegt in der Stille.

Was ist der Kubuk eigentlich für ein-Vogel?
Kein Vogel, ein indonesisches Gericht. Schmeckt herrlich und knackt so.

Sie singen von Liebe, Toleranz, Zärtlichkeit. Aber die Menschen werden nicht besser. Bedrückt Sie das?
Ich lese ab und zu, daß ich ein Moralist wäre. Das bin ich nicht. Ich biete lediglich etwas an. Was die Leute damit tun, liegt an den Leuten, das kann ich nicht beeinflussen. So ist es mit dieser Erde auch. Sie ist ein phantastisches, ein unendliches Angebot. Du brauchst es bloß zu akzeptieren. Aber sobald du einer Sache nachstrebst, bist du schon im Knast, gefangen in deinen eigenen Mauern.
Wenn ich keine Musik machen kann, tut mir alles weh. Meine Konzerte sind meine Art zu überleben. Bestimmt gebe ich zu viele Konzerte. Mein Streben geht dahin, Musik zu machen. Idiot zu sein. Schön zu sein. Sexy zu sein. Und dann wieder zu gehen.

Sie können so viele Dinge: Bücher schreiben. Filme machen, singen, tanzen, Geige spielen. Was können Sie von all dem am besten?
Ich glaube, daß ich mich am besten bewege. Das ist nicht Tanz und nicht Gymnastik, sondern Körpersprache. Ich bin ein Geiger, aber ich bin mehr Musikant als Musiker. Ich bin mehr Volkssänger und Troubadour als Sänger, ein Minnesänger, der von Stadt zu Stadt zieht. Ich war nie ein Hit, und die Leute finden uns trotzdem.

Gott spielt oft eine Rolle in Ihren Shows. Sind Sie religiös?
Ich bin ein religiöser Mensch, aber ich glaube nicht an Gott. Religion bedeutet für mich Respekt. Ich habe den allerhöchsten Respekt vor dem, was ich nicht verstehe. Und so bin ich immer auf der Suche, es mir zu erklären.

Viele Künstler geben Benefizkonzerte, benutzen ihre Popularität ganz direkt, um politische Dinge zu bewegen. Sie engagieren sich mit Ihrer Colombine-Stiftung in Entwicklungsländern, waren 25 Jahre Unicef-Botschafter, doch halten Sie dieses Engagement immer getrennt von Ihrer BUhnenarbeit. Warum? Weil ich wenig nette Politiker kennengelernt habe. Letzte Woche habe ich mich sagen hören, daß ich wahrscheinlich der einzige Politiker wäre, der nichts verspricht. Das Leben in der Politik ist eine legitime Lüge. Aber letzten Endes sind wir doch selbst verantwortlich, daß wir solche Politiker haben. Es ist unser Gesicht.

Haben Sie immer noch eine Abneigung gegen jedes Muß?
Ja, Apfelmus, Sozialismus. Alle- Müssen müssen nicht. Was sich in der Sowjetunion abspielt, ist total katastrophal. Noch so viele Leute hängen an dem alten System. Dort sitzen noch eine Unmenge Deppen am Computer. Die brauchen nur eine Taste zu drücken, und wir befinden uns alle im Welt-Scheiß. Ich glaube, daß es noch nie so gefährlich war wie heute Die Übersicht ist weg. Auch hier ist es noch nicht vorbei. Es gibt diesen Drang nach rechts, und der wächst und wächst. Das ist Krebs, und man muß ihn wie Krebs behandeln und nicht, als ob eine Nase blutet.

Sie leben in einem Dorf bei Utrecht, haben vier Kinder. Wie geht das mit Ihren langen Tourneen zusammen?
Ich spiele hundert Konzerte im Jahr, sonst bin ich zu Hause. Also bin ich verdammt viel zu Hause. Vielleicht mehr als der Bäcker aus unserem Dorf. Ich arbeite gerne im Garten. Und ich kann sehr gut mit Hühnern plaudern. Ich bin sicher, daß sie mich nicht verstehen. Zwei Kinder sind schon groß, fast verheiratet. Dann habe ich noch einen Sohn, der ist fünfzehn und macht Zigeunermusik. Meine zehnjährige Tochter ist total vernarrt in Pferde. Ob sie mich nicht doch mehr brauchen, werde ich erst später wissen. Wenn mein Sohn mich vielleicht fragt: Wo warst du, als ich sechzehn war und dieses oder jenes Problem hatte? In Los Angeles? Ich hoffe es nicht, aber ich muß meine Mutter auch irgendwann noch mal hart ansprechen. Sie ist eine phantastische Frau. Aber sie war immer so schrecklich nah.

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