Welt am Sonntag
INGEBORG PRIOR

Der holländische Poet und „pessimistische Realist“ liebt vor allem die Überraschungen

Bei Hermann van Veen weiß man nie so genau . . .

22. Januar 1989

Düsseldorf Im Zuschauerraum der Tonhalle wird geplaudert, die Bühne ist noch menschenleer. Da knallt’s hinterm Vorhang, und eine weiße Rauchwolke steigt empor.
Hermann-Neulinge erschrekken: ein Unfall?
Hermann-Fans wissen: Gehört zum Programm.



„Ich liebe dieses apokalyptische Getue auf der Bühne. Bei mir muß imer etwas knallen, blitzen, explodieren“, sagt der holländische Entertainer Hermann van Veen, 43. Der Zuschauer kann zwischen zwei Erklärungen wählen. Die erste: Der schütterblonde „Eierkopf“ tut’s aus Spaß am Jux Die zweite: Der hat etwas im Hintersinn.

„Wenn ich mit dieser Materie hantiere, bin ich ein Junge von zwölf mit einer Glatze und viel zu großer Jacke. Aber Kinder sollten nicht mit Raketen spielen oder mit Entscheidungen, die unsere Welt zerstören.“

Ihn freut es, wenn die Leute lachen. Macht nichts, wenn sie ihn nicht verstehen. Am liebsten sind ihm die, die ins Konzert kommen, weü sie gerade nichts anderes zu tun wissen, gleich anschließend die Freundin anrufen und sagen: „Du, ich war im Konzert von Her-' mann van Veen. Der ist Holländer. Ich habe zwar nicht alles verstanden, was er sagte, aber seine Lieder sind total schön, da mußt du unbedingt hin.“
Wenn er seine Jacke auszieht und an einen Kleiderbügel hängt, der vom Bühnenhimmel herabschwebt, wenn er sein Taschentuch aus der Hose baumeln läßt, wenn er aufs Klavier steigt, dann macht das nicht unbedingt Sinn - soll es auch nicht: Wer sich auf einen Abend mit Hermann van Veen einläßt, weiß nie genau, was passieren wird, auf der Bühne und mit ihm selbst. Er sieht das so: „Das ist ja das Schöne an der Poesie, daß sie freüäßt, nicht alles erklärt.“

Auch das nicht: Wenn er nach einer hinreißenden Pantomime, über den Männer-Strip zum Tennis-Solo ä la Boris, kräftig ausspuckt, explodiert die Spucke. Die Zuschauer lachen.
Nach dem Konzert erklärt er: „Das war tödlicher Ernst. Wir sind schon so chemikalienver-seucht, daß sogar unsere Spukke giftig ist.“
Hermann van Veen, im letzten Kriegsjahr in Utrecht geboren, ein musikalisch Frühbegabter, Absolvent des Utrech-ter Musikkonservatoriums, ist Liedermacher, Sänger, Geiger, Schauspieler, Poet, Pantomime, Clown - und Mahner. Uber sich selbst sagt er: „Ich bin ein realistischer Pessimist. Aber die Realität ist wahnsinnig schön. Das Angebot unserer Erde hat sich nicht verändert. Was wir damit anstellen, könnte es allerdings endgültig vernichten. Doch solange es da ist, bin ich optimistisch.“

Seit 20 Jahren engagiert sich - der viarfache-Vater fur Unicef, seit kurzem auch für ein Projekt mit dem Namen „Colombine“, das Hilfe zur Selbsthilfe leisten will und zur Zeit an der Realisierung einer holländischen Klinik für leukämiekranke Kinder arbeitet.

Höchstens 25 Prozent seines Rundumtalents gäben seine Schallplaten wieder, sagt er, und auf die hartnäckige Frage, warum er dann trotzdem 60 Scheiben veröffentlicht habe, mit kindlichem Lächeln: „Weil ich Spaß daran habe. Weil ich sie sammle wie Tagebuch-Notizen. Ich sammle auch Comic-Bücher.“ Kommerz habe ihn nie interessiert, und er habe alles getan, kein Star zu werden, keinen Hit zu landen...

Hermann van Veen ist manchmal auch müde, hat keine Lust, auf die Bühne zu gehen. „Wenn ich aber oben stehe und unten all die Menschen sehe, die sich extra für mich die Zähne geputzt und ein frisches Hemd angezogen haben, dann hat das etwas mit Liebe zu tun.

Dann lege ich los.“