Fürther Nachrichten
STEFFEN RADLMAIER

Am seidenen Faden

Herrliche Narrenspiele: der Holländer Herman van Veen trat in Nürnberg auf

22 jan 1980

Die großen Clowns findet man heute nicht mehr im Zirkus, sondern zum Beispiel im Showgeschäft, und einer von ihnen ist Herman van Veen. Vogelgezwitscher tönt aus den Lautsprechern, wie von Geisterhand bewegt wandert ein Mikrofonständer über die Bühne. Die Fünf-Mann-Kapelle macht Zirkusmusik wie in einem Fellini-Film, und mit peitschenden Paukenschlägen kommt van Veen in blauer Montur aus dem Zuschauerraum auf die Bühne und streut aus Kindergummistiefeln Konfetti auf den Boden. Bis nach Nürnberg hat sich der Ruhm des flatternden Holländers, der in seiner Heimat und in Norddeutschland Triumphe feiert, offensichtlich noch nicht' herumgesprochen: beim Start zum zweiten Teil seiner erfolgreichen Europatournee war die Meistersingerhalle nur halb gefüllt.


Der außerordentliche Entertainer, äußerlich halb Chorknabe, halb Zirkusclown, fasziniert Kinder und Intellektuelle gleichen ßen. Mit der TV-Kindersendung -Die setsamen Abenteuer des Herman van Veen" wurde Pantomime auch bei uns bekannt Und ein seltsames Abenteuer ist die Show van Veens für die Zuschauer, eine Mischung aus bun Kinderüberraschung und zartem Seelenkitzelk. Die sorgsam einstudierte Show, bei der die Präsentation jedes Liedes genau inszeniert, jedes ein Kleinkunststück ist, wirkt dabei spontan und unverbraucht, ganz und gar individuell, perfekt und doch zum Anfassen.
Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Und Herman van Veen nimmt man es ab, daß er der reine Tor, der weise Narr, der zu sein er vorgibt, auch wirklich ist. Wenn er mit der Unbedingtheit eines Kindes für Liebe und Glück, Phantasie und Freiheit plädiert, fühlt sich wohl jeder einzelne der im grauen Alltag verstrickten Zuschauer an längst begrabene Träume erinnert.

Bei den Wort- und Gedankenspielereien des 35jährigen hängt der Witz mitunter an einem seidenen Fädchen, und den verliert man leicht, wenn man sich nicht voll konzentriert. Ohne Vorwarnung beginnt er mit dem Gedichtvortrag vom "Erlkönig", geht zur Parodie über und endet schließlich beim Klagelied eines Waschlappens. Aus einer Riesenkiste nimmt er einen winzigen Zettel, singt's lateinisch ab und auf einmal verwandelt sich die Kapelle in eine Steel-Band und van Veen liegt im Clinch mit den Kongas.
Oder er entdeckt angeblich im Publikum eine ehemalige Freundin und klettert über die Stuhlreihen zu ihr hin, dann wieder hängt er an einem Hundehalsband und singt von einem Hundeleben.

Die ungewöhnlich besetzte Kapelle (Flöte, Posaune, Tuba, Saxophon, Orgel) mischt dabei nach Kräften mit. Nach vielen herrlichen Narrenspielen voller Humor und Poesie, wie man sie heute kaum mehr findet, gibt van Veen im weißen Bademantel viel später dann einem enthusiastischen Publikum die letzte von vielen Zugaben.



STEFFEN RADLMAIER