Rheinische Post
DIETER DORMANN

Warnung eines Hofnarren: „Denk an das Kaninchen!”

21. November 1992

Seit fast drei Jahrzehnten zieht ein Mann Menschen aller Art wie ein Magnet in die Konzertsäle: Teenager sitzen neben Großmüttern, Yuppies im Edelzwim neben Studenten im 60er-Jahre-Strickpulli, Hausfrauen neben Punkern, Ein phänomenaler Erfolg. Der Name des Mannes: Hermann van Veen — Niederländer, Jahrgang 1945, Vater von vier Kindern, Sänger, Tänzer, Pantomime, Musiker, Komiker, Liedermacher, - Kabarettist und (wie er selbst sagt) Hofnarr.




Zauberei mit Konfetti

Als Narr erscheint er auch zu Beginn seines aktuellen Toumeepro-gramms, wenn er im schwarzen Mantel, mit der einen Hand eine Geige, mit der anderen einen umgestülpten Regenschirm emporstreckend durch einen Zuschauereingang in Richtung Bühne tapst. Umständlich und ungelenk windet er sich aus dem Mantel. Aus dem Narren wird ein Clown, schließlich ein Magier, der mit Konfetti zaubert.
Doch schon bald — wie im ganzen Programm — bekommt der pure Spaß einen ernsten Hintergrund: Nach bunten Bändern zieht der Zauberer ein Kaninchen aus dem Hut. Erschrocken ob seines Spiels mit dem Leben, streut er schnell wieder Konfetti, um den bösen Spuk zu vertreiben. Aber der Zauber hat noch ärgere Wirkung: Einige Nummern später holt er nur noch ein Skelett hervor. Daß verantwortungsloser Umgang mit Umwelt oder Mitmensch Folgen hat, zeigt sich gegen Ende der Show: Ein überdimensionales Kaninchen holt eine winzige, „tote” Hermann-van-Veen-Puppe aus dem Zauberhut.

Nicht nur diese Geschichte zieht sich wie ein roter Faden durch das van-Veen-Programm (Auftritte in Düsseldorf: 15./16. und 26. bis 30. Januar, 2. bis 5. Februar). Nicht nur bei ihr verhallt das Gelächter im Saal, tritt an seine Stelle betroffene Stille und Nachdenklichkeit. Kaum ein Problem, das der Niederländer nicht (indirekt) beim Namen nennt: In einem Telefongespräch beruhigt Hermann van Veen seine Mutter:
„Ja Mama, ich hab’ gegessen... Bratwurst ... In Deutschland ... Aber ich hab’ doch blaue Augen. Mir passiert schon nichts, Mama.” Oder er fragt das Publikum: Was ist das typische Geräusch im Regenwald? Antwort: Sägen und stürzende Baumriesen. Ein Gag, den Fans bereits kennen, hat eine neue Pointe: Hermann van Veen liest unverständliche Laute vor. Klar, er hält das Blatt verkehrt herum, dreht es und liest nur noch ein Wort: „Rostock!” Die Zeiten sind grausamer, Hermann van Veen ist härter geworden: „Die Politik ist tot, es lebe die Mafia.” Sie führt an Fäden (nicht nur) den Sänger als Frank-Sinatra-Mario-nette: „I did it my way.”

Was ist Hermann van Veens Weg, was will er mit seinen Auftritten erreichen? Der Entertainer gibt eine einfache Antwort: „Die Leute sollen ein bißchen glücklicher nach Hause gehen — und wenn es nur um ein Promill ist. Das wäre schon toll.” Ähnlich simpel klingt sein Lebensziel als Künstler: „Einmal auf die Bühne treten und mit dem Publikum — ohne etwas zu sagen — in ein dreistündiges, schallendes Gelächter über die Zukunft ausbrechen.” Doch wer dem Hofnarren mehr als eine Frage stellt, wird Georges Moustaki zustimmen: „Charmanter Clown/und singender Mime / tanzender Harlekin / und Musikant / Hermann vah Veen, mein Bruder aus den Niederlanden / ich grüße in dir die Weisheit der Narren / und die Unverschämheit des Moralisten / während du vorgibst / uns nur zu unterhalten.”

Denn in der Welt des Narren gibt es wenig zu lachen: „Meine Momente des Glücks sind selten und kurz, aber klar und grandios.” Hermann van Veen beschreibt sich als einen sehr ernsten Menschen, als realistischen Pessimisten. „Die Erde an sich ist formidabel. Aber wir gehen grausam mit ihr um. Viele sehen nicht, daß sie sich zugrunde richten. Die Erde können wir nicht vernichten, nur uns selbst.”

Der 47jährige hat für sich Konsequenzen gezogen: Er gründete vor Jahren die Stiftung „Columbine”, die preisgekrönte Gesundheits- und Umweltprojekte in aller Welt startete und fördert. Seit Jahrzehnten ist er Botschafter des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen UNICEF.

„Ich tue viel. Aber das macht mich nicht optimistisch. Die Lage war noch nie so schlecht wie heute”, meint der Künstler. „Wir müssen endlich realisieren, daß wir ein lebendes Wesen sind. Daß das, was in Afrika oder sonstwo passiert, nicht nur dort, sondern auch mit uns passiert.” Ängste seien es, die die Menschen zunehmend regierten, manipulierten, hart und egoistisch machten. Es fehle Zeit zum Zuhören und Verstehen, zu Geduld und Liebe: „Solange ich etwas durchziehen will, auf der Suche und in Hast bin, kann ich nichts finden.” Und: „Wenn ich jemanden oder etwas verkümmern lasse, verkümmere ich selbst.” Und: „Die Erwartungen sind es, die uns umbringen. Viele sagen, hoffentlich wird’s schön, und sie vergessen, daß ihr Glück in ihrer Hand liegt — nicht in den Händen anderer.”

Antworten auf alle Fragen

Doch der realistische Pessimist ist nicht ohne Hoffnung. Dies wird beim Konzert-Finale (Besucher sollten nicht nach der zweiten oder dritten Zugabe aufgeben - der Nachschlag dauert oft bis zu 60 Minuten) mit dem Lied „Griff ins Klo” deutlich. Der Refrain („Es liegt nicht an der Gegend / es liegt an dir”) zeigt, wo es anzusetzen gilt. „Unsere Krankheit ist nicht unheilbar, aber wir müssen realisieren, daß wir krank sind”, meint der Hofnarr von eigenen Gnaden. Die Erde an sich biete alle Möglichkeiten, Antworten auf alle Fragen. „Wir müssen uns und der Natur wieder vertrauen, Verantwortung für sie und uns übernehmen.

Ich sage nur: Vorsicht, denk an das Kaninchen!”



DIETER DORMANN