Abendzeitung
Johannes Hartel

Herman van Veen mit neuem Programm in Franken

Urknall der Träume


Der Clown mit dem zärtlichen Gefühl zieht Zwischenbilanz eines Lebens aus Irrtum und Glück - und denkt schon ans gemütliche Sterben: Herman van Veen, der holländische Gefühle-Jongleur mit der unverfälschten kindlich-naiven Direktheit ist am Wendepunkt angelangt. „Bis hierher und weiter“ nennt er sein neues Programm, mit dem er zur melancholisch-komischen Reise in die eigene Vergangenheit aufbricht. Im Würzburger Congreß-Zentrum entfesselte er damit an zwei Abenden nach jeweils dreieinhalb Stunden grenzenlosen Jubel. Am Mittwoch und Donnerstag gastiert der Ausnahme-Entertainer in der Nürnberger Meistersingerhalle.


„Dieser Tag ist wie ein Griff ins Clo“, beschreibt er seinen eigenen Gemütszustand, ordnet die Familienbilder seiner Erinnerung und tastet als Träumer mit verbundenen Augen den Zustand der Welt ab. Herman van Veen auf der Suche nach der Vergangenheit und nach einem rettenden Ausweg in die Zukunft. Der grübelnde Philosoph wittert mit seiner roten Pappnase den Stürmen des Lebens entgegen, irrt durch das Labyrinth seiner unerfüllten 5: Kinderträume, in dem lauter gutartige j Monster lauern, stolpert in die selbst-[ gelegten Fallen und zieht sich am eigenen Phantasie-Strick wieder heraus. Der Absturz eines federleichten Kinderballs löst welterschütternde Detonationerf aus: Ein Schizophrener zwischen Angst und Hoffnung, der den aufschreckenden Urknall braucht, um die Realitäten zu erkennen.

Wenn er sich fürchtet, singt er einfach ein Lied, schließt die Weltläufte an das Zauberkraftwerk seines Brummkreißels an und läßt sich vom Knochengerippe zum fröhlichen Totentanz verleiten. Herman van Veen spielt virtuos mit den Erwartungen des Publikums und mit der eigenen Gemütslage. Glaubwürdige Ernsthaftigkeit hält die schräge Gedanken-Pyramide in erstaunlicher Stabilität. Seine Kommentare zum Zustand der Welt haben sogar nichts von aufdringlicher Besser-wisserei zu tun, sondern fordern nur ; ein wenig auf, den verschütteten Kinderglauben wieder auszugraben.

In der Mitte des Lebens wird dieser Allround-Künstler immer souveräner im Umgang mit dem immergleichen Thema. Auch wenn der Aufbau seiner Show aus Liedern, Pantomime, Slapstick auf den Wiedererkennungseffekt zielt, bleibt noch unendlich viel Spielraum für Überrschaungen. Atemberaubend verblüffend, mit welch kleinen Gesten er welch große Wirkungen erzielt, wie sich aus dem Puzzle winziger Einzelteile ein Traumgebilde kolossalen Ausmaßes entwickelt. Er benötigt dafür keine aufgedonnerte Show; da genügen drei exzellente Musiker als Hilfestellung (Erik van der Wurff, Nard Reijnders, Cees van der Laarse), die genau auf seiner Sensibilitätsebene liegen, Melancholie, Sentimentalität und Realität mit traumwandlerischer Sicherheit in Schwebe halten.


Fazit: Die Hoffnungsträgerrakete ist noch lange nicht ausgebrannt.



Johannes Hartel