Hamburger Abandblatt
MATHES REHDER

Ein seltener Vogel auf jeden Fall

Herman van Veen in Hamburg

21 okt 1975

Im vorigen Jahr war es noch ein Geheimtip. In diesem Jahr gibt es das Phänomen Herman van Veen. Spielend füllt er große Theatersäle bis auf den letzten Platz. Gewaltige Wogen "zärtlichen Gefühls" schlagen ihm, wo immer er seine Lieder singt, aus dem Publikum entgegen. So auch gestern im Hamburger Schauspielhaus.


Der holländische Harlekin und Alleinunterhalter, der da mit Augen rund und blau wie zwei Vergiß mein nicht rondelle, vor dem Mikrophon steht, ist alles in einer Person: Pantomime, Sänger, Musikclown, ein glänzender Gaukler, Parodist, Poet, Märchen- und Schnurrenerzähler.

Ein seltener Vogel auf jeden Fall! Dazu ein Moralist, der denen, die gekommen sind, ihn zu bewundern (ähnlich wie Dustin Hoffman als Lenny Bruce) auch ein paar bittere Wahrheiten ins Gesicht schleudert. Manchmal sogar setzt er den Fuß auf die Grenze, hinter der das weite Land der Träume und des Irrsinns liegt. Nur die Perfektion, mit der er sein Programm abspult, hindert ihn daran, sich ganz in dieses Land hinüber zu begeben.

Vielleicht ist dieser Hang zum Irrationalen sogar einer der Gründe, die ihn so schnell zum Publikumsliebling werden ließen. Hinzu kommt, daß die Musiker, die ihn begleiten, jeder von ihnen ein Virtuose auf seinem Instrument, die weiche Beatles-Welle in die Gegenwart hinübergerettet haben.
Natürlich gibt es auch Gefahren: Die Technik von Lautsprechern und Scheinwerfern droht überhand zu nehmen, das moralische Anliegen, manchmal zu dick aufgetragen, das Programm übermäßig zu belasten. Dazu die Gefahr der Vermarktung. Auch bei Herman van Veen sitzen die Hyänen der Unterhaltungsindustrie bereits im Parkett und belauern jeden seiner Schritte. Achtung, Herman, sie wollen dir die Unschuld rauben!

(Herman van Veen gastiert heute abend noch einmal mit seinem Programm "wunder was" im Schauspielhaus).



MATHES REHDER