Suzanne Heyden

Groschen für den Künstler

Kakophonisches Makabarett: Hermann van Veen in der HdK

21. MÄRZ 1993

Den Regenschirm hat die Wende verweht, dem Clown rieselt das Zeitungskonfetti auf Haupt und Hände. Hermann van Veen klaut als Poet und Gaukler nicht nur die Wäsche von der Leine, er geht auch ans Eingemachte.


Aus unseren Alp- und Wunschträumen macht er Manegentricks, und die Melancholien färbt er pink. In der Hochschule der Künste serviert der niederländische Clown sein Programm zwischen verzweifelter Hoffnung und fröhlicher Trauer. Und fällt beim Kobolzen durch alle Ismen nicht immer auf die Füße.

„Ja" heißt das neue Album, und es ist ein entschiedenes Nein zu Marschtritt und Uniformität. Der Kollege Heinz Rudolf Kunze hat ihm den Titelsong geschrieben, Philologie meets Clownerie, bessere Dioskuren kann man sich nicht wünschen.

Im ausverkauften Konzertsaal in der Hardenbergstraße brilliert der Bühnenzauberer van Veen mit den Veilchensträußen im Auge und der Träne im Knopfloch. Da verrutscht ihm das „Grand Hotel Deutschland" schon mal zur ausgelatschten Metapher und die Moll-Traurigkeit ins Wabern, aber die schrillen Intermezzi bringen die Gewichte wieder ins Lot.

Über, unter und mitten durch die Gürtellinie katapultiert er seine Conferencen ins 1 Nirgendwo des wuchernden Nonsens, um im nächsten Moment mit dem Zeigefinger auf der Geige Vibrato zu bibbern. Zusammen mit dem Pianozauberer Erik van der Wurff und dem Saxophon-Klarinetten-„Klezmatic" Nard Reijnders rutscht er Slalom durch alle Stile, mischt Wagner (der „Fliegenden Holländer", was sonst) und Schwitters mit dem Synthi-Sound aus der Konserve und macht sich einen Jux beim geflissentlichen Dirigieren der Applaus-Phonstärken.
Die Deutschen, was sind sie manipulierbar - aber sie sind alle gleich häßlich, die braunen Europäer, Amis, Russen. Vielleicht würde man sich solche Differenzierung doch hin und wieder wünschen - es ist so leicht, Ankläger zu sein mit der Gnade der außerdeutschen Geburt.

Hermann van Veen, den die Fans nicht von der Bühne lassen wollen, gibt sich diesmal seltsam unentschieden: Der kunstvolle Schwachsinn rempelt die Gardinenpredigt, Musikalität reibt sich an Pathos, und mit dem Knallbonbon dreht der Clown seine Pirouetten.

Kakophonie wechselt mit Makabarett, zuletzt wird der Raum Kathedrale: Das niederländische Weihnachtslied zwischen Lullaby und Choral, die dreisprachige Hommage an den seligen Brei - so ein bißchen Sakralklang ist nie falsch.

Der Juke-Box-Groschen aus dem Parkett rettet den Künstler schließlich aus der Zugabennot: statt des eisernen Vorhangs dudelt die Maschine zum Heimweg.

Faszinierend, schräg und ratlos - auch Zirkusartisten fallen manchmal ins Netz.



SUSANNE HEYDEN