Trierische Volksfreund
Beatrix Grämlich

Ein Harlekin mit blauen Flecken

Bei einem Konzert in Esch-sur-Alzette sprach der TV mit dem Liedermacher Herman van Veen

20. Oktober 1990

Wenn er singt, wird es schlagartig still im Saal. Denn es sind leise Töne, die Her Mann auf der Bühne anschlägt. Lieder, die einen forttragen. Die nachdenklich stimmen, ein wenig melancholisch vielleicht. „Lauf, so weit du laufen kannst, es liegt nicht an der Gegend, es liegt an dir.“ Das ist der eine Teil von Herman van Veen. Der andere, das ist der Pantomime, der Spaßmacher, der es versteht, seine Zuschauer mit einer Handbewegung zum Lachen zu bringen. Unbefangen und unkompliziert wirkt der Holländer — nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Gespräch. Der TV nutzte die Gelegenheit dazu nach einem Konzert des Künstlers in Esch-sur-Alzette.


Die Vorstellung ist vor wenigen Minuten zu Ende gegangen. Über Kabel und Koffer haben wir uns hinter der Bühne den Weg zur Gaderobe gebahnt. Ein kleines Grüppchen von Fans ist bereits im Vorraum versammelt. Da fliegt unvermittelt die Tür auf. Der Künstler wirft ein paar nette Worte in die Runde, gibt hier und da ein Autogramm und bittet uns dann zu sich hinein. Während er gemütlich eine Tasse Kaffee schlürft, steht Herman van Veen bereitwillig Rede und Antwort.

An eine ruhige Unterhaltung ist allerdings nicht zu denken: Immer wieder platzt ein Verehrer herein, will ein Foto vom Künstler oder eines seiner Bücher signiert haben. Der Holländer bleibt bei allen gleich freundlich und läßt sich durch nichts aus dem Konzept bringen. Er ist einfach er selbst. Vielleicht macht ihn das so sympathisch.

Den Stoff für seine Lieder findet van Veen, ohne danach zu suchen. „Ich habe nicht den Eindruck, daß ich meine Texte jemals durchdacht habe. Das passiert in meinem Leben.“ Und so betrachtet er auch seine Show als Selbstdarstellung, als eine Performanz. Auf der Bühne zu stehen, gehört für ihn zum Schönsten, was er sich vorstellen kann. Trotz sozialkritischer Anklänge verfolgt der Holländer dabei kein bestimmtes Ziel: „Ich versuche einfach, die Dinge so nett wie möglich zu bringen.“

Das klingt fast naiv und, erstaunt um so mehr, als der Sänger die Entwicklung unserer Welt keineswegs optimistisch betrachtet. „Ich bin ziemlich realistisch. Und die Realität stimmt nicht fröhlich. Es gibt wenig Menschen auf unserer Erde, denen es gutgeht, im Vergleich mit den Milliarden, denen es schlechtgeht.“ Von seinen früheren Antikriegs- und Antirüstungssongs jedoch war in Esch kein einziger zu hören. Es scheint, als habe van Veen sich mehr auf den Privatbereich zurückgezogen.

Die Loslösung von den Erwartungen der anderen ist ein wiederkehrendes Thema bei ihm. Seinen persönlichen Weg zu finden, für van Veen zugleich die Voraussetzung, um etwas zu ändern in dieser Welt: „Ich glaube einfach an unsere eigene Kraft. In jedem Menschen steckt eine enorme Energie. Und ich glaube fest,; daß viele Leute zusammenunwarscheinlich viel erreichen können. Man muß nur Mut haben. Und viele Freunde.“
Angst aber hat der Holländer vor Apathie und vor der Bequemlichkeit, die Lösung von Problemen anderen zu überlassen. Sich selbst versteht er denn auch als „Trouvere“, jener französische Minnesänger und engagierte Artist, der sich — anders als der „rein romantische“ Troubadour — vor allem durch Kritikfähigkeit auszeichnet. „Das ist wie der Unterschied zwischen Pierrot und Harlekin. Ich bin mehr der Harlekin-Typ. Der Verlierer.“ Vielleicht vermittelt der Titel von Herman van Veens neuer Show am ehesten einen Eindruck von seinem Wesen. „Blaue Flek-ken“ hat er sie genannt. Auf die Frage, wofür dieses Motto steht, antwortet der Künstler zunächst mit einem Augenzwinkern, dann aber wird er ernst: „Für meine Augen, für blauen Himmel, und für die Verletzungen.“

Bei aller Lebhaftigkeit, die Herman van Veen demonstriert, mutet sein angebliches Ziel hingegen recht seltsam an. Was verbirgt sich hinter dem Wunsch, „unwahrscheinlich schön zu sterben“? Wirklich der Glaube an das Leben als einen Prozeß der Befreiung, die Hoffnung, daß das Geistige irgendwann das Materielle übersteigt? Oder eher Koketterie, vielleicht sogar dekadente Todessehnsucht? Auf diese Fragen bleibt Herman van Veen die Antwort schuldig.
Aber bis er sein Ziel erreicht, dauert es ja wohl noch eine Weile.

Vorerst ist er unterwegs, „so eine Art Reisender, der seinen Koffer mit sich herumschleppt“.



Beatrix Grämlich