Weser Kurier
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Glatzkopf mit Geige

Herman van Veen gastiert gegenwärtig in der Glocke

20 okt 1984

Den Beginn könnte auch der Circus Roncalli nicht schöner inszenieren. Zu den ersten Takten von Tschaikowskys Violinkonzert kommt Herman van Veen gemessenen Schrittes aus dem Hintergrund des Saals. Ganz in schwarz, die Geige in der Hand, den Instrumentenkoffer am langen Riemen über der Schulter wie ein junger Konservatoriumsschüler schwingt er sich auf die Bühne. An genau der Stelle, an der der Solist einzusetzen hat, greift er zum Bogen - und setzt ihn wieder ab. Er wird nicht gebraucht, die Bandaufnahme ist vollständig einschließlich der Solostimme, deren "unerklärlicher" Herkunft der verhinderte Geiger mit dem offenen, Verletzlichen Gesicht nachzuforschen versucht. Er geht zu den Lautsprechern auf der rechten Seite, aber dort ist nichts zu hören, weil der Tontechniker die Musik auf den linken Kanal gelegt hat Er hält sein Ohr an die Lautsprecher auf der linken Seite, aber nun kommt der Tschaikowsky aus dem rechten Kanal.


Das erste Lied des Konzerts singt Herman van Veen in seiner Muttersprache. Täte er's nicht und hätte sein Deutsch nicht diesen leichten, sympathischen Akzent - man könnte vergessen, daß er Holländer ist. Seit etwa acht Jahren füllt er in Deutschland die Konzertsäle, in einigen Städten gleich an mehreren Abenden nacheinander, und wo immer er auftritt, schlagen ihm die Begeisterungswellen eines durch alle Altersklassen reichenden Publikums entgegen.

Offenbar hat er etwas, was andere Sänger, aus dem Lande der Dichter und Denker zumal, nicht haben. Daß er eben nicht nur Sänger ist, sondern auch Tänzer, Pantomime, Clown, reicht zur Erklärung allein nicht aus. Aufrichtigkeit ist ein Wort, das schon eher geeignet ist, dem "veenomenalen" Erfolg auf die Spur zu kommen. Wie sehr er sich darin von so vielen Kollegen unterscheidet, wird besonders in einer Szene deutlich, in der Herman van Veen auf englisch den gesamten Kunsthonig verschleudert, den die Stars des Unterhaltungsmetiers und die sich dafür halten, ihrem Publikum ums Maul zu schmieren pflegen, diese falsche Lobhudeleien, die - mit Ausnahme des jeweiligen Auftrittsortes - jeden Abend gleich klingen. "Bremen, we love you!" Aus wievielen Mündern haben wir, das "wonderful audience", diese Sprüche schon gehört.

Wo Herman van Veen die atomare Bedrohung zu seinem Thema macht, gelangt er an die Grenzen, die einem Entertainer gesetzt sind. Kurz vor der Pause geht in der Glocke die Welt unter, und der Mann, in dessen Programm sich Herz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung mit wunderbar albernen Clownerien mischen, verkriecht sich in einem alten Kinderwagen.
Der Atomschlag als szenisch-musikalisches Getöse, oft schon probiert, ist überflüssig, und es wundert, daß van Veen, der sonst Pointen nur andeutet, dessen Ding die beiläufigen Gesten sind und nicht das requisi tenreiche Spektakel, an dieser Stelle den Prinzipien untreu wird, die ihn so einzigartig machen.



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