Neue OZ
Rainer Wilde

Ernster Poet und Clown

Hermann van Veen gastierte in der Stadthalle

20 okt 1981

Der Beifall wollte kein Ende nehmen. Erst mit einer List ließ Hermann van Veen die ihm bereiteten Ovationen verstummen, indem er das Publikum von den rückwärtigen Eingängen her aus dem fast bis auf den letzten Platz gefüllten Europasaal der Stadthalle lockte. Zweieinhalb Stunden hatte der holländische Entertainer seine Anhängerschar "ergriffen", für sie (und auch mit ihr) gespielt, sie in seine Welt heiterer Melancholie und leiser Nachdenklichkeit hineingesungen.


Dabei ist van Veen, der Mann mit dem "zärtlichen Gefühl für die Schwachen und Stillen", kein bequemer Unterhalter. Hinter der beredten Mimik des Harlekin, hinter skurrilem Witz und grellen Schockeffekten wird immer wieder wache Empfindsamkeit deutlich für Ungerechtigkeit, Gedankenlosigkeit und die großen menschlichen Tragödien, die oft aus den kleinen Alltags-Gleichgültigkeiten erwachsen. Und bei der Entlarvung von trügerischer Selbstüberschätzung und Heuchelei nimmt er sein Publikum nicht aus, das er sehr direkt in seine Satiren gegen Ignoranz und Oberflächlichkeit einbezieht.

Mit Hermann van Veen steht ein Mensch auf der Bühne, der seine Ängste und Hoffnungen nicht verschweigt, sie vielmehr mit künstlerischem Professionalismus zu artikulieren versteht. Seine sanfte Stimme ist ebenso eindringlich wie modulationsfähig, seine Körperbeherrschung im pantomimischen Spiel atemberaubend. Ihm zur Seite steht ein musikalisches und technisches Team, das im Zusammenspiel mit dem Solisten ebenso hochklassig wie unauffällig funktioniert.

In seinem Programm verschmelzen Chansons und Pantomime, intellektuelle Doppelbödigkeiten und groteske Albernheiten zu einer großen, faszinierenden Einheit. Bei der Verbindung seiner einzelnen "Nummern" verblüfft er mit überraschenden Assoziationen, überfliegt gelegentlich in seinen Gedankensprüngen wohl auch das Publikum, das ihm applaudiert, bald in atemloser Beklemmung, bald in befreiter Heiterkeit.
Ihm, dem ernsten Poeten und Clown, der zum Lachen reizt, nicht nur, weil er das Weinen vertreiben möchte, sondern weil er mit kindlicher Gläubigkeit (und kindlichem Trotz) das Lachen liebt, auch wenn es ihm bisweilen zu laut erscheint.



Rainer Wilde