Täglicher Anzeiger
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„Vollkommen wehrlos lieben kann . . ."

20 sep 1985

Beverungen. „Vollkommen wehrlos lieben kann . . . Denk daran!“ So beendete Herman van Veen eine der acht Zugaben, die das Beverunger Publikum von ihm forderte. Seine Tour 1985/86 eröffnete der holländische Künstler mit zwei Konzerten in Beverungen, wo er erst im Frühjahr des vergangenen Jahres einen grandiosen Auftritt zu verzeichnen hatte. Stand bei seiner letzten Tournee das Thema Frieden im Mittelpunkt, so sprach diesmal vor allem die Liebe aus seinen Liedern, Versen und Clownerien.


Die Stadthalle in Beverungen war fast voll besetzt, als Herman van Veen, bekleidet unter anderem mit einem alten Mantel und Schiebermütze, Geige, Koffer und Plüschtier unter’m Arm, durch die Zuschauerreihen zur Bühne „schlich“. Das Publikum — nach Herman van Veen „lauter Menschen, die in eine Richtung gucken“ — begrüßte ihn mit Ovationen.
Der 1945 in Utrecht geborene Künstler gab schon in der ersten Hälfte seines Auftritts hervorragende Beweise seines vielseitigen Kön-strapäzierten Betitelungen des Schauspielers, Poets und Pantomimen ließen sich durch weitere ergänzen, so ist er Zauberer, bald Clown und Komödiant. Wie kein anderer versteht der Vater von vier Kindern es, seine Lieder und szenischen Darstellungen in inhaltlichen Zusammenhang zu stellen. So sind die Übergänge von gesprochener zu gesungener Sprache fließend.

Die Synthese von Souveränität und Spontaneität scheint vollkommen. Der Mann, der sein Innerstes nach außen kehrt, kennt er kein Lampenfieber? Er kennt es, vergaß er doch an mehreren Stellen, den Text seiner Lieder. Aber anstatt die sonst so peinlich empfundene Situation zu überspielen, läßt Herman van Veen seine Musiker von vom beginnen. Die Aufforderung, Gefühle zu zeigen, Fehler einzugestehen und über sich selbst zu lachen durchzieht dann auch wie ein roter Faden seine Liedertexte und Gedichte.

Herman van Veen gehört seit 1972 zu den führenden Theaterkünstlem Europas. Er ist nicht nur auf den meisten Konzertbühnen zu Hause — allein in Deutschland hat er schon 15 Langspielplatten veröffentlicht — sondern schreibt auch Bücher in deutscher und holländischer Sprache, Schauspiele, Gedichte und Kinderbücher. '
Trotz alledem findet er noch Zeit für politisches und soziales Engagement: Seit 1968 ist er Goodwill-Botschafter für Unicef, nimmt an Aktivitäten der Friedensbewegung teil und f ordert außerdem Talente der Literatur und klassischen Musik.

'Wer nun glaubt, einen termingehetzten Herman van Veen auf der Bühne zu sehen, muß enttäuscht werden. Van Veen wirkt schlicht; in schwarz gekleidet gibt er oft das Bild eines unsicheren Kindes ab (nicht umsonst sind Kinder eines der Haupttehmen seines lyrischen Werkes). Den großen Aufwand, den seine Bühnenshows machen, kann man nur erahnen. Requisiten setzt er nicht gerade sparsam, aber gezielt ein. Nie lenken sie vom Wesentlichen ab. Manche werden gar zum Markenzeichen des Holländers, wie zum Beispiel die rote Clownnase. Herman van Veen wird zur Kultfigur!

Neben Liedern von seinen Platten „Und er geht und er singt“ und „Signale“ aus dem Jahre 1984 zeigte Herman in dieser Konzertshow — auf Kosten seines virtuosen Geigenspiels — sehr viele Pantomime- und Clowndarbietungen. Gerade hier wurde wieder sehr deutlich, welch große Rolle abstrakte und surrealistische Elemente in seiner Arbeit spielen. Das Großartige daran ist, daß er dies nicht losgelöst von Gefühl, Ausdruck und Zärtlichkeit begreift, sondern eine Harmonie zwischen diesen beiden Polen anstrebt.
Beverungen dankte für diese Bemühungen auf seine Weise; Immer wieder klatschten sie den blonden Holländer und seine hochqualifizierten Musiker heraus.

Ist es denn wirklich nicht möglich, daß ein Jeder ein klein wenig „Herman van Veen“ in den Alltag hinüberreten kann?



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