Aachener Nachrichten
ACHIM KAISER

Kalkulierte Ehrlichkeit

Viel Beifall für Herman van Veen in Aachen - Etwas rührselig

20 mrz 1986

AACHEN. — Er kommt plötzlich durch den Zuschauersaal. Die Geige unterm Arm, Köfferchen an der Hand, Mütze auf dem Kopf. Dann steigt er auf die Bühne, packt gemächlich aus und beginnt ganz sanft die Saiten zu streichen. Schon ist das Publikum verzaubert, der kalkulierten Ehrlichkeit des Protagonisten erlegen.


Herman van Veen stellt dar, in erster Linie sich selbst in verschiedenen Rollen, in die er mühelos hineinschlüpft. Mal als kindlich staunender Komödiant, als verspielter Gaukler, philosophischer Weltbetrachter oder als augenzwickemder Clown erzählt der Niederländer Anekdoten seines 40jährigen Lebens.
Vor allem in der ersten Hälfte seines Programms „Auf dem Weg zu Dir“ verbreitet van Veen viel Weltschmerz und Hoffnung, nähert sich bedenklich der Grenze zur Rührseligkeit, wird gar anbiederisch politisch, wenn er Weltprobleme in einem Satz abhakt: „Solange auf der Erde noch Menschen hungern, ist jede Waffe Gotteslästerung“. Oder auch im Lied über „Familien in Ost und West, die man nicht zueinander läßt“, während „nur Wolken ziehn von West-Berlin nach Ost-Berlin“.

Nicht in die Tiefe

Das Auditorium im nicht ganz ausverkauften Eurogress applaudiert begeistert, egal ob das Allround-Genie ein paar Tischtennisbälle in die Luft schmeißt oder mit seiner vollen Stimme und dem starken Timbre eines französischen Chansonniers über Probleme singt, die er weder trocken abbildet noch analysiert. Galant übersieht seine breitgefächerte Fanggemeinde, daß er bei sämtlichen „ernsten“ Themen nur die Oberfläche berührt, aber niemals in die Tiefe geht.

Tennis-Persiflage

Weitaus lockerer, spritziger dann der zweite Teil des Abends. Herman van Veens anfängliche Befangenheit vor „Aachen“ ist verflogen, der ironisch spöttische Parodist geht voll aus sich heraus. Und macht vor niemandem halt: weder vor der Schwiegermutter noch vor Boris Becker. Seine Tennis-Persiflage mit gequältem Gesichtsausdruck und geballten Fäusten — dazu noch in „Zeitlupe“ — gerät zu einem pantomimischen Meisterwerk.

Hier lag — zumindest am Dienstagabend — die Stärke van Veens. Mittels seiner Körpersprache verlieh er manch vordergründigen Gag gelungene Pointen mit tieferem Hintergrund. So zum Beispiel der Sportler, der sich auf seine Höchstleistungen konzentriert und sich durch Selbstsuggestion motiviert, um dann nur in einen Satz auszustoßen: Ich liebe dich.

Viele Zugaben

Am Schluß waren die Zuhörer schier aus dem Häuschen, wurde Herman van Veen enthusiastisch gefeiert. Kaum zu zählen die Zugaben. Rund eine Stunde versuchte sich der singende Erzähler vergeblich nach seinem 90minütigen Auftritt zu verabschieden. Als Dank integrierte er das Publikum und beschwor mit ihm in bester Fischer-Chor-Tradition die heile Welt:

„Alles geht doch nur — Hand in Hand.“



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