Rhein-Wupper-Zeitung
Birgit Wanninger

Herman van Veen ist immer in Bewegung

Ein Sänger mit viel Verantwortung

19 okt 1985

„Hast Du Herman schon einmal live gesehen?”, fragt mich Tour-Manager Hauke Tedsen vor dem Interview mit Herman van Veen. Als ich die Frage verneinte, meint er: „Herman muß man live gesehen haben, das ist etwas ganz Besonderes!”. Übertreibung? Nein, nach seinen Gastspielen in der Kieler Ostsseehalle und in der Düsseldorfer Tonhalle ist auch die Berichterstatterin überzeugt: Herman van Veen auf der Bühne ist ein Erlebnis.


Der 40jährige Holländer ist nicht irgendein Künstler. Er ist kein Musiker oder Sänger, der eben einmal sein Repertiore heruntersingt, sich dann von seinem Publikum verabschiedet, vielleicht nicht einmal weiß, in welcher Stadt er auftritt. Daraus macht er höchstens einen Scherz. Er freut sich über die unsichrere Haltung seiner Konzertbesucher, wenn er sich in Düsseldorf mit .Auf Wiedersehn Wuppertal” oder in Kiel mit „Tschüs Flensburg" verabschiedet.

Herman van Veen arbeitet ständig an sich. Seine Auftritte sind eine Mischung aus Musik, Theater, Parodie, Sketchen, Moral, Tiefsinn, Pantomime, Tanz, Clownerie und Rummelplatzatmosphäre. „Herman live ist weitaus mehr als Herman auf Platte oder im Fernsehen”, meint Hauke Tedsen. Und auch damit behielt der junge Mann recht. Während unserer einstündigen Autofahrt von Hamburg nach Kiel, wo van Veen seine Deutschlandtournee, die — mit Unterbrechungen — bis Januar andauert, begann, drehte sich unser Gespräch immer wieder um Herman. Herman der Musiker, Herman der Künstler, Herman der Kollege, Herman der Mensch, Herman der charmante Chaot und natürlich wieder Herman live. Er mache immer wieder etwas anders; etwas Neues. Stelle manchmal sein Programm (zum Leidwesen des Teams?) vollkommen auf den Kopf. Aber dann käme plötzlich auch die Crew aus dem Lachen oft nicht mehr heraus. Das sei Herman van Veen auf der Bühne.

Sicherlich, Herman van Veen hat ein Konzept, aber betrachtet der Konzertbesucher vor dem Auftritt das eigens für die Deutschlandtournee herausgegebene Programmheft, so sieht er eine Ankündigung für den Teil vor und den Teil nach der Pause. Und hier steht dann: „Herman van Veen trifft eine Auswahl aus... ”, anschließend sind jeweils 25 (!) Programmmpunkte auf geführt; Titel seiner Lieder ebenso wie Szenenfolgen. Auch der Holländer eibt zu, kein Abend gleiche de anderen. Dabei gibt er zu bedenken, für ihn wäre so etwas schließlich langweilig, und außerdem seien die Menschen allabendlich grundverschieden. Montags kämen andere Leute als dienstags, mittwochs herrsche immer eine andere Atmosphäre als samstags. Dienstags sei das Publikum älter, sonntags meist müde vom Wochenende (dann gebe er ein leises Programm, fügt er augenzwinckernd hinzu), freitags habe er bisher stets ein fröhliches Publikum vorgefunden. Er generalisiert seine Konzertbesucher, denn mit seinen 40 Jahren, davon seit 20 Jahren auf der Bühne, habe ihm das die Erfahrung gezeigt. „Das ist so”, meint er, „das weiß ich.” Und weil jeden Abend andere Leute sein Gastspiel sehen, er auch nie in der gleichen Stimmung ist, muß logischerweise auch jedes Konzert anders sein.

Zu seiner Lebensphilosphie gehört, laut zu sagen, was er denkt. Die eigene Verantwortung, die ist ihm wichtig — besonders wichtig, betont er. Nicht nur die eigene sondern auch die eines jeden Individuums. Es habe doch keinen Zweck, sich in die Ecke zu setzen, die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben und dann darauf zu hoffen, „Gott liebt mich”, der Mensch müsse agieren und reagieren! „Entscheidungen kann doch jeder Mensch selber treffen, wir dürfen nicht abwarten, bis es zu spät ist. Wenn man sofort sagt, was einem nicht paßt, kann man noch etwas verändern”, behauptet der Utrechter, und davon ist er auch übezeugt. „Denn die Realität verändert schließlich die Möglichkeit", bringt van Veen seine Gedanken auf einen einfachen Nenner.

Der Utrechter Sänger macht von dem Recht, das seiner Meinung alle Menschen haben, Gebrauch. Er engagiert sich sozial, beispielsweise als Botschafter für die UNICEF oder für die von ihm 1977 mitbegründete Stiftung „Colombine”. Statt anonym Spendengelder zu überweisen, kauft „Colombine” zum Beispiel phillipini-schen Handwerkern Waren zum Marktpreis ab. Auf diese Art sollen Hilfsbedürftige erfahren, daß sie sich auch selbst helfen können. „Emanzipatorische Entwicklungshilfe” nennt es Herman van Veen. Der Künstler ist froh, nicht nur über sich selbst, sondern auch über Colombine reden zu können, gerät dabei ins Schwärmen und regt sich gleichzeitig über das Elend in der Welt auf, bevor er zufrieden über „Colombine” weitererzählt. 1980 sei eine Selbsthilfe-Infrastruktur für 150 philipinische Frauen geschaffen worden, mit einer kleinen Stoffabrik, Kinderstube und einem Krankenhaus.
„Wir haben lediglich das .Know-how" gegeben, heute steht Colombine auf eigenen Beinen — und dieses Beispsiel hat Schule gemacht”, berichtet er nicht ohne Stolz. Das sei seiner Meinung nach Entwicklungshilfe — nicht vorgefertigt den Menschen der Dritten Welt Maschinen zu schicken und über sie zu wachen. Die Frauen verwalten alles selbst, sollte das Projekt schief gehen, trügen sie die Verantwortung, und sie seien sich dessen bewußt, aber sie hätten auf jeden Fall etwas gelernt. Der Kreis schließt sich, wir sind wieder bei der für van Veen so wichtigen Eigenverantwortung.

Verantwortung wird auch in seinen Auftritten deutlich. „Ich war gerade viel zu laut, hab’ mich zu sehr aufgeregt”, resümiert er kopfschüttelnd nach seinem Auftritt. „Bin ich froh, daß mir das Telefonat mit meiner Frau eingefallen ist”, stellt er erleichtert und schon wesentlich zufriedener fest.
Herman van Veen hat da wieder einmal improvisiert, das Mikrophon zum Telefonhörer umfunktioniert und seiner Frau (auf der Bühne) berichtet, wie er sich gerade fühlt. Das war nicht gespielt, nicht einstudiert; das war notwendig. Herman van Veen wollte laut sagen, war es denkt; er mußte sich Luft machen.

Neben dem rebellischen van Veen gibt es auch den lustigen Clown van Veen. Zuweilen wird dieser Clown melancholisch, vielleicht weil er immer noch auf der Suche nach dem verlorenen Paradies ist. Er reflektiert ständig über die Vergangenheit, versucht zu ergründen, warum etwas passiert ist. Darüber hinaus stellt er sich ständig vor, was gewesen wäre, wenn...; wenn beispielsweise alles anders gekommen wäre, wenn Hitler den Krieg nicht verloren hätte (auch dafür hat er eine Nummer in seinem Repertoire).

Aber der Analytiker ist auch ein Sinnesmensch. Einer seiner Sinne sei besonders stark ausgeprägt, fügt er hinzu. Er ist Musiker (examiniert in Geige und Gesang), und „alles, was ich sehe, höre ich auch”, sagt er. Seinen Ohren seien sicherlich aufgrund seines Berufs trainiert. „Während des Auftritts blenden mich die Scheinwerfer, ich sehe das Publikum nicht, aber ich höre es”, berichtet er. Jedes Räupsern nehme er dann wahr, obwohl seine Ohren bestimmt nicht besser als die der anderen seien, nicht so fein augeprägt wie die eines Hundes. „Aber ich bin halt ein Ohrmensch”. In unserer gefühlsarmen Welt, in der man sich immer weniger auf die Sinne verläßt, meist nur noch visuell ausgerichtet ist, hört Herman van Veen die Gefühle. Bescheiden gibt er zu bedenken, er höre eben anders.

„Herman van Veen live ist ein Erlebnis”, berichtet Tour-Manager Hauke Tedsen, bevor ich Herman van Veen live sehe und ihn kennenlerne. Aber der Holländer ist mehr als ein Erlebnis. Er ist zwar mittlerweile ein Star, doch der 40jährige ist Mensch geblieben. Ein Mensch der sich ständig Gedanken über sich und seine Mitmenschen macht. Der immer auf der Suche nach einer besseren Welt ist, und dehalb nicht schweigt, sondern redet und handelt.

Vielleicht ist Herman van Veen sogar ein Weltverbesserer.



Birgit Wanninger