Saarbrucker Zeitung
Thomas Wolter

Holländer-Flüge ins Reich der Fantasie

19. Mai 1992

Herman van Veen mit seinem neuen Programm in der Saarbrücker Kongreßhalle

Im abgetragenen Straßenanzug, das Hemd wie in ostentativer Verweigerung traditionellen Erwachsenenseins lässig aus der Hose baumelnd, so betritt der 47jährige die Bühne. Noch bevor er in der Saarbrücker Kongreßhalle nur „piep“ sagen kann, liebkost ihn vorauseilender Applaus. Und Herman van Veen, der quirlige Allrounder aus Holland und nach wie vor einer der vorzüglichsten kulturellen Importe aus dem Käseland im deutschen Show-Biz, der weiß, was er seinem Publikum schuldig ist. Werben um Humanitas ohne moralinstarren Zeigefinger, Parforce-Ritte durch Stile und Genres des Bühnen-Metiers, Satire mit einem gehörigen Schuß Selbstironie. Und schließlich: menschliche Nähe ohne Anbiederung, die seiner Veranstaltung fast schon kultischen Charakter verleiht.



Fantasie natürlich — Träume und Visionen als Therapie gegen den alltagsgrauen Schleier im Kopf — erwarten die Leute von „ihrem“ textenden, spielenden, zaubernden und vor allem singenden Gesamtkunstwerk, von diesem mühelos von einer Spielart der Bühnenkunst zur anderen fliegenden Holländer. Als eine poetische Reise, voll von Musik, Bildern und Assoziationen, mit surrealen Ausflügen ins Reich des Unbewußten, zeigt sich dann auch wieder van Veen$ neues, mit sparsamen technischen Mitteln wirkungsvoll inszeniertes Programm, das von Erik van der Wurff und Nard Reijnders instrumental präzise begleitet wird.

Vorsicht aber — zur Poesie gesellt sich zuweilen ein Hammerschlageffekt! Verfuhrte die schmachtende Stimme beim - zärtlichen Liebessong gerade zu süßer Ergriffenheit, so reißt sofort ein harter Break aus allen himmelblauen Wolken. „Wechselbäder'der Gefühle“ will van Veen verord nen mit seinem ständigen absurden Brechungen des Ernsthaften. Abzüglich einiger Ausflüge in die Weltpolitik — etwa die aktuelle BRD-Bestandsaufnahme „Grand Hotel Deutschland“ — ist das bittersüße Menschenleben sein Thema: die Liebe, das Heitere, die Trauer, das Groteske, der Tod und immer wieder die verehrte Kindheit. Der leitmotivische Song vom „richtenden Richter“, vom „dichtenden Dichter“ und vom „killenden Killer“ beschreibt den gespaltenen .Weltzustand, den Hermann van Veen zum großen Entzücken seiner Saarbrücker Fans noch immer mit der träumerisch-verspielten Haltung eines kindsehliebenen groß zu ertragen weiß.



Thomas Wolter