DIE RHEINPFALZ ZWEIBRUECKER RUNDSCHAU
Christian Hanelt
Thomas Salzmann

Wenn der Kruppuk ins Mikro krächzt

19. Mai 1992

Herman van Veen in der Kongreßhalle - Am Abgrund von Realität und Traum
Er wandelt auf einem schmalen Grat, stürzt einmal in den Abgrund des Traumes, einmal in den Abgrund der bitteren Realität. Herman van Veen, einer der vielseitigsten deutschsprachigen Künstler: Sänger, Musiker, Schauspieler, Poet, Erzähler, Magier, Pantomime, Clown, Komiker - Holländer!



Der 47jährige Utrechter gewährte dem Publikum bei seinen beiden Auftritten am Wochenende in der Saarbrücker Kongreßhalle einen Blick in sein Tagebuch: „Ich war ein unheimlich häßliches Baby, dem man eine Bratwurst um den Hals hängen mußte, damit der Hund mit ihm spielte." Mit seinem bissigen Auftaktsong „Grand Hotel Deutschland“ verband Herman van Veen einige persönliche Erinnerungen mit einem Deutschland, in dem schon Adolf Hitler, Käti Witt und Rudi Carell wohnten.

Häufig schlüpft der Erfinder der Märchenfigur Alfred Jodocus Kwak in die Rolle eines Kindes, zeigt dessen mögliche Ängste und Sorgen auf, versucht aber auch als Erwachsener den Geheimnissen der Kindheit auf die Spur zu kommen. Er fragt sich, was ein Baby träumt, warum es weint, warum es schreit. Der feinfühlige Familienvater improvisiert ein zärtliches Telefongespräch mit einem seiner Kinder, erzählt ihm von seinem Auftritt in Saarbrücken, nimmt ihm die Ängste vor dem Alleinsein.
„Du mußt jetzt schlafen gehen, ich hab’ noch sehr viel zu singen heut’ abend, Harakiri, gute Nacht.“ Im gleichen Atemzug zeigt van Veen seinen Hang zum Zynismus, zu Absurditäten und scheinbar sprachlichen Gegensätzen. Er läßt dem Publikum Grüße von seiner Mutter ausrichten, der er empfielt, sich aus hygienischen Gründen einäschern zu lassen, um nicht von den Würmern zernagt zu werden. Seine Mutter habe immer gesagt, sie sei für jeden da. Auf ihrem Grabstein stehe deshalb wahrscheinlich: „Ich liege hier nicht für mich."

Eine herausragende Stellung nimmt Herman van Veens naturkundlicher Ausflug zu einem nahezu ausgestorbenen Vogel im südamerikanischen Dschungel ein: dem Kruppuk. Er habe bereits vergeblich in mehr als 40 Auftritten versucht, die Vogelstimme zu imitieren, suggeriert er dem Saarbrücker Publikum. Mit seinen Begleitmusikem, dem Pianisten Erik van der Wurff und Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette, Akkordeon) erzeugt van Veen mit naturgetreuen, klanglichen Spielereien die Atmosphäre eines tropischen Regenwaldes, nicht ohne die Zuschauerinnen zuvor darauf hinzuweisen, daß sie bei dem Gelingen des Experiments mit gewissen Nebenwirkungen zu rechnen hätten.
„Beim Schrei des Kruppuks springen den Frauen mit einem lauten Plopp die Tampons raus“, warnt van Veen. Durch den Dialog mit dem Publikum, den er immer wieder sucht, wird er zwar in seiner Konzentration mehrmals unterbrochen, doch gelingt es ihm schließlich, mit einer schier unglaublichen Anstrengung ein „Kruppuk“ ins Mikrofon zu krächzen.

Herman van Veen läßt seine Zuschauerinnen und Zuhörer nicht nur in eine vielschichtige Phantasiewelt eintauchen, er konfrontiert sein Publikum auch übergangslos mit der harten Realität. Über sein Lieblingsthema Kinder leitet er zum Sterben über, gelangt vom Islam in den Regenwald, beschreibt ein um die Zukunft gebrachtes Kind auf den Trümmern Jugoslawiens und nuschelt Endzeitstimmung in die übergestülpte Gasmaske. So vielfältig wie seine Themen sind auch seine Darstellungsformen. Die Bühne wird zur Spielfläche, auf der er seine Show inszeniert, auf der improvisiert, von der er aber auch das Publikum sanft dirigiert und nach drei Stunden seinen wohlverdienten Abschiedsapplaus partiell von den Rängen abruft.


Hermann van Veen - ein realistischer Träumer.



Christian Hanelt und Thomas Salzmann