Neus-Grevenboicher Zeitung
Andrea Bänker

Dieser Rattenfänger kommt aus Holland

19 mrz 1986

Hermann van Veen brachte Zauberstimmung in die Stadthalle

Neuss. Er ist ein Gaukler, ein Poet, ein Schauspieler und Clown, vor allem aber ein zweiter Rattenfänger von Hameln; Hermann van Veen. Bei seinem Konzert in der Neusser Stadthalle brauchte er sich das Publikum nicht zu erobern, er hatte es von der ersten Minute an fest im Griff. Und der war nicht ganz ohne! Denn der Holländer treibt ein gefährliches Spiel mit der Masse. Jede Sequenz, jedes Lied, jeder Gag ist in seiner Wirkung genau berechnet, van Veen rverfehlt sein Ziel nie, zieht mit atemberaubend kalkulierten Effekten das Publikum in seinen Bann, Und wenn er als Krönung dieser Scharlatanerie auch noch den Applaus dirigiert - laut, leise, langsamer, schneller - dann überschlägt sich diese überzeichnete Unverschämtheit in beißende Ironie. Ertappt, jawohl!



Hermann van Veen setzt dem Publikum den Spiegel vor. Und die Reaktion ist nichts anderes als die Reflexion in diesem spiegelnden Glas. Die Art und Weise, wie er mit den Zuschauern umgeht, erinnert an Elemente aus der modernen humanistischen Psychologie, teils mit fast therapeutischen Ansätzen. Skrupellos zieht der Showmaker alle Register, gerät dabei gar in die Sphären der Esoterik. Diese Effekte übertünchen manches flache und schnulzige Lied. Das psychologische Verwirrspiel ist schnell erahnt, wenn auch nicht ganz durchschaut; doch wer läßt sich von diesem Zauberer nicht gern verführen? Die Neusser ließen ihn sich gern gefallen, wohl wissend, daß van Veen seine Macht über die Zuschauer nicht mißbraucht, mit ihnen zusammen sich selbst aufs Glatteis führt.

Das Licht flutet von der Stadthallendecke einmal wie ein bengalisches Feuer, einandermal wie ein Farbenschleier ganz in Türkis und Blau. Technische Raffinesse und aufwendige Lichteffekte unterstreichen akkustisch und optisch die Zauberstimmung in die Halle, die Hermann van Veen mit seinem schauspielerischen, mit seinem komödiantischen Talent einbringt. Seine ganze Show - ein Feuerwerk an Sketchen, Liedbeiträgen und Späßen - lebt von den haarsträubenden Übergängen. Eine unpassende Bemerkung zur rechten Zeit, und schon ist die Situation gerettet, wenn der Pathos ins Peinliche zu rutschen beginnt.

Gerade diese Gratwanderungen zwischen romantischen Liedern und der kalten Realität, zwischen tieftraurigen Weltbetrachtungen und übersprühender Lebensfreude - und das wie gesagt mit den atemberaubenden Übergängen - sind die Spezialität des Holländers. Eines dieser poetischen WechselbädeT: Ein leises und darin eindringliches Antikriegslied mündet in Marschmusik, die mit technischer Perfektion als Narhallamarsch und Jahrmarktsdudelei endet. Das Leben als Karneval, die Umwelt als Kirmes - mit dem Kettenkarussell, „in dem mir so schön schlecht war". Erinnerungen an die Kindheit, Gedankensprünge in die Zukunft, hin zum Tod. Beschreiben läßt sich das, was bei Hermann van Veen auf der Bühne geschieht, nicht. Was er zu sagen hat, das kann man nicht einfach lesen oder sich auf Schallplatte anhören ohne den Beigeschmack der Halbheit. Ihn muß man erleben, um seine „Botschaft" ganz mitzubekommen.

Und die kippt zwischen dem Guru, der handauflegend durch die Reihen streift und dem Spitzbuben, der am herzlichsten noch über sich selbst lachen kann.



Andrea Bänker