Frankfurter Neue Presse
GABRIELE BESSLER

Herman van Veen:
Ein Herz schlägt für alle

19 mrt 1982

Er tänzelt, singt, lacht lauthals, schreit, flüstert, trällert, spielt Mundharmonika, erklimmt Zäune in affenartiger Geschwindigkeit, klettert behende über die ersten vier Stuhlreihen vor der Bühne, um die Handtasche einer Zuschauerin an sich Zu reißen, um sie dann wie ein Beutetier in "sein Versteck" zu schleppen. Herman van Veen, Entertainer aus Utrecht, begeistert, auch wenn Provokation zu seinem Repertoire gehört. Am Montag hatten sich in der Alten Oper zahlreiche Fans um ihn versammelt, und wie es schien, konnte er seinen Erfolg vom Dezember letzten Jahres bestätigen.


Die Bühne, zu Beginn des Programms in fahles Blau getaucht, steht im Zeichen der Erde. Eine überdimensionale Weltkugel schwebt über dem Geschehen. Durch den Saal ertönt das gleichmäßige Schlagen eines Herzens. Mit dem Empfangsapplaus des Publikums geht er unter und erstirbt. Die Show erwacht zum Leben. Das Symbol der Weltkugel taucht wieder auf, Herman van Veen hält einen Tischtennisball in der Hand.

Er streitet mit dem lieben Gott, beschwört ihn um eine bessere Lebenssituation - er, van Veen, steht über den Dingen, doch in Sekundenschnelle verwandelt sich seine Person in den Teufel, seine Umgebung mutiert zur Hölle. Blitz und Donner umhüllen ihn. Aus der einstigen Ruhe erwächst das Chaos.
Es ist manchmal schwer, diesem Entertainment zu folgen, sein Programm fordert viel von Auge und Verstand. Er schlüpft aus einer Haut in die nächste, flicht Witze ein und wird plötzlich wie der ernst, ja todtraurig. Alle scheinen hingerissen, sie werden mitgezerrt zur Talfahrt des Gemüts.

Menschen stehen im Mittelpunkt seiner Präsentation. Sie nehmen den Platz in seinem fast dreistündigen Programm ein - ihre Ängste und Sorgen, ihre Freude und Lebensphilosophie bewegen ihn, treiben ihn und seine Musiker, hervorragende Instrumentalisten, an. Homosexualität, Rauschgift - Probleme, die in der Gesellschaftsstruktur ihren Ursprung haben, rückt er in das Licht der Verständigung. Mangelnde Liebe ist es, an der unsere Welt krankt, das drücken seine Lieder aus.

Hermann van Veen stellt seine Reisen in den Vordergrund, erzählt seine eigene Geschichte, macht glaubhaft, wovon er spricht und singt. Doch vieles wird zur reinen Pose und erhält einen Touch von "Jahrmarkt der Eitelkeit". Er wirft sich in die Brust, streicht kokett übers Haar und erzählt Nonsens. Aus Abwechslung wird Monotonie. Doch dann greift er, als sei es ein spontaner Entschluß, zur Geige und spielt vom Blatt. Indessen, man ist nicht nur bei der leichten Muse zu Gast, auch bei Rock 'fl' Roll ä la Elvis - seine weiche, einfühlsame Stimme wird zum Knödeltenor. Auch beim Hard Rock ist man zu Hause.

In einem Lied erzählt er von Michelangelo, der da sagte, manche Skulpturen hätten nur von Stein befreit werden müssen, um die bereits vorhandene Gestalt ans Tageslicht zu holen;

Herman van Veen: " ... läßt sich nicht dieses Prinzip auf Menschen übertragen, von vielen kann man sagen, sie sind unbehauen . . ."



Gabriele Bessler