Benrather Tageblatt
DIETHELM ZUCKMANTEL

Hermann van Veen in der Tonhalle

Ein Schmusejunge, der auch denkt

18 nov 1981

Was ist los? Hermann van Veen, vor wenigen Jahren noch nur "spinnerter Holländer", allenfalls Geheimtip einiger Kleinkunstfreaks, erobert die Herzen der Deutschen im Sturm. Zwei Tonhallenkonzerte im Abstand von drei Tagen waren im Nu restlos ausverkauft; vom Februartermin für die, die keine Karten mehr bekommen haben, sind schon jetzt 800 Karten weg.


Woher kommt die große Begeisterung für den Mann, der mit dem Selbstbekenntnis, er sei "Clown, Harlekin, kahler Sänger", nur einen Teil dessen beschreibt, was ihn auf der Bühne zum Entertainer ersten Ranges macht?

Umfragen haben es dingfest gemacht: Der stahlharte Jungunternehmer, der kernige Leistungsmann, der deutsche Supermann der Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre ist tot. Heute wünscht sich die Frau, das Mädchen in unserer Republik den zärtlichen Mann, sensibel muß er sein, musisch, poetisch, ruhig ein bißchen spontan und ausgeflippt. Diesen Typ Mann verkörpert Herman van Veen wie vielleicht kein zweiter, er schwimmt oben auf der "weichen Welle", zwei Drittel seines Publikums ist weiblich; doch im Gegensatz zu anderen Schmusejungs (Carpendale, Clayderman) ist van Veen auch Denker.

Aber zugegeben, Hermann mit dem rollenden "RRRRR ..." wäre auch Spitzenklasse, wenn ihm Genosse Trend gerade nicht zur Seite stünde. Was der Mann innerhalb seines dreistündigen Programms auf der Bühne bietet, ist unglaublich. Von Gesang, Tanz, Pantomime, Geblödel, Mimik, Sprachspiel, Mundharmonika- oder Geigenintermezzo bis hin zu einer Situationskomik, die soweit geht, daß selbst die Begleitcombo nicht mehr weiß, was eigentlich läuft: Hermann kann alles.

Seine Vorliebe ist es, das Publikum zu necken. Weil ihm das ideologische "Brett vorm Kopf" fehlt, sind Hermanns Unverschämtheiten oft sehr direkt; mal rotzt er laut auf die Bühne oder auch in die Menge; er freut sich an gar nicht zweideutigen Gesten; er kommt plötzlich durch die Sitzreihen geklettert und wuschelt Leuten durch die frischgeföhnten Allwetterlocken; er klaut Handtaschen und macht sich über den Inhalt lustig.
Wenn die Band zwischen vielen sanften Songs einmal losrockt, bekommt man Angst, van Veen will explodieren. So sehr geht sein ekstatischer Tanz ab bis ins Groteske. Wild um sich schlagende Arme und Beine zeigen einen Zappelphilipp, dessen Engergie scheinbar nicht zu bremsen ist.

Ungehemmten Zwischenbeifall gibt es immer, wenn dann ein Lied kommt, das die Fans von der Platte kennen, "Ich hab ein zärtliches Gefühl" oder "Ich lieb dich noch". Davon bekommt das Publikum nicht genug, und Hermann ziert sich nicht mit Zugaben, auch nach drei Stunden noch nicht.

Aber ist van Veen, der Erfolgreiche, glücklich mit sich und seinem Publikum? Die Düsseldorfer Twens und Thirties waren angerückt, Leute mit Tendenz zum Schicksein, oft auch die Paarung: Er, Gauchostiefel und Palästinensertuch, sie, Lady in Nappaleder, sozusagen Woodstock-Veteranin mit Hanna-Schygulla-Verschnitt. Sind das die Leute, für die Hermann van Veen singen will?

Sieht man vor der Tonhalle den großen Trucker mit Aufschrift seines Namens, dann gerät man ins Stirnrunzeln. Das Ganze ist ein "Van-Veen-Unternehmen", perfekt gemanagt, von der Regie, über die Band, die Tontechnik, die Beleuchtung, bis hin zu den teuren Eintrittskarten und dem Posterverkauf im Foyer.

Vermarktung, Verkauf von Gefühlen an solche, die bei sich ein Defizit spüren?



DIETHELM ZUCKMANTEL