Ostfriesen Zeitung
Birgit Schreiber

„Zeitgeist macht sich erstaunlich breit“

. bei Hermann van Veen / Viel Applaus in der Weser-Ems-Halle

18 okt 1988

Oldenburg. „Eisige Nacht. Alle Leuchttürme sind eingestürzt ... und der Wind faucht glatt durch dich hindurch. . . Macht nichts, sagt eine kehlige holländische Stimme hinter dir. Eine Hand legt sich auf deine Schulter. Macht fast gar nichts. Bis hierher — und weiter“, sagt der Liedermacher Heinz Rudolf Kunze über Hermann van Veen, der am Freitag abend in der prall gefüllten Weser-Ems-Halle viel Applaus einheimste.


Kunze sagt mit wenigen Worten, was die van-Veen-Fans — darunter Studenten, Hausfrauen und Geschäftsführer — an Hermann lieben. Der hatte vor drei Jahren in Oldenburg mit seinem sanftem, unbeugsamen Optimismus und einfühlsamer Gestik und Mimik Herzen geöffnet. Nun hatte es der Schauspieler, Clown, Musiker, Sänger und Autor nicht leicht, die Erwartungen zu erfüllen.
Am Ende klatschte das Publikum eine Zugabe nach der anderen herbei. Es war kaum möglich, nicht von der spielerischen Lebendigkeit des Künstlers gefangen genommen zu werden. Man staunte, wie selbstverständlich der mittlerweile 43jährige Hüfte schwingend über die Bühne dance’te. Hier ein bißchen Ballett, dort gekonnte Pantomime. Hermann kann es alles.

Man lachte, als die Band (Erik van der Wurff, Cees van der Laarse und Nard Reijnders) mit riesigen Cowboy-Hüten bedeckt musikalisch die USA verulkten: „God Bless Amerika“. Das Publikum freute sich über ungeahnte Qualitäten des Holländers: Hermann sang Blues, Soul, Rock und bewegte den Unterkiefer dabei kaugummikauend wie ein alter Ami.

Anders als vor drei Jahren ließ Hermann in diesem Konzert, das schon eher eine Show war, buchstäblich die Puppen tanzen: Ein knapp einen halben Meter großes Ebenbild des Holländers wurde von Assistentin Elske Lück auf der Bühne im van Veen-Stil bewegt. Hat Hermann sich selbst ein Denkmal schaffen? Fast scheint es so. Inszenierte er doch sein eigenes Begräbnis auf der Bühne. „Ich wollte doch noch mein Auto waschen“, klagte der Holländer. Die deutschen Männer im Publikum wußten, wovon die Rede war. Die Anspielung auf die sonnabendliche Waschwut war harmlos im Vergleich zu den Seitenhieben auf die deutsch-holländische Vergangenheit im dritten Reich. Ist der neue Hermann zynisch?

„Wer reich ist, ist bestechlich“, sang der alte Hermann. So skeptisch und offen kannte man ihn. Das Publikum hörte: „Der Zeitgeist macht sich erstaunlich breit“. Auch bei Hermann. Er zapfte den deutschen Lieblingsnerv mit der Parodie auf ein Tennis-Match an: Als er wie in Zeitlupe den gedachten Tennisball erst Vorhand und dann von oben in die Menge drosch, geriet das Publikum außer Rand und Band. Kein Zweifel — Zuschauer von heute wollen unterhalten werden. Hermann hat's erkannt.

Dazu mußte — wie zu oft — das weibliche Geschlecht herhalten: Applaus bekam van Veen für ein unverständliches Kauderwelsch aus Arabisch, Russisch und Chinesisch. Deutlich wurde Hermann, um „die nackte Geisha“ zu beschreiben — mit unmißverständlichen Gesten und Worten. Der neue Hermann ist auch nur ein Mann.
„Ja, ich mußte mich entfernen, ohne mitteilbaren Grund“, stellt der Holländer denn auch in einer Ballade gegen Ende des Abends fest. Aber, versichert er: „Ich lebe und es geht mir gut.“

Diese Botschaft steckt vor allem in den Liedern vom „Kleinen Fratz“ oder der Ente „Alfred Jodokus Kwak“, die der ehrenamtliche UNICEF-Botschaf-ter Hermann als Dreingabe sang. Dabei kam van Veen als der alte unbeirrbare Menschenfreund und Romantiker dem Publikum noch einmal sehr nahe. Die Szene am Ende des Abends, in der Hermann über Stuhlreihen hinweg in die Mitte seiner Fans steigt, ist noch immer geeignet, Herzen zu öffnen.



Birgit Schreiber