Ostthuringer Zeitung
Ilona Berger

Zärtliches für den Mann mit Pumps

Herman van Veen begeisterte mit "Nachbar"-Programm in Gera

18 mei 1998

Ein Mann mit schütterem Haar kommt auf die fast düstere Bühne. Im Hintergrund ist sein Orchester. Er steht im feinen Zwirn mit seiner Geige vor dem Publikum, spielt und singt "M'n vlakke land". Verneigt sich danach vor 700 Augenpaaren am Freitag. Herman van Veen wird die Zuschauer im Saal fast drei Stunden lang provozieren, verführen, brüskieren, zum Lachen und zum Nachdenken bringen. Lind sie werden nach diesem Abend ein "zärtliches Gefühl" für einen Mann hegen, der mit seiner Wandlungsgabe und seiner Sprachgewalt brilliert wie kein anderer Künstler.


Unerwartet zieht er seine Schuhe aus, krempelt die Hosenbeine hoch, schlüpft in schwarze Pumps und erzählt von Pubertätsproblemen, einfach schamlos-frivol. Geheime Sorgen der Teenager macht der Holländer öffentlich, ohne sie breitzutreten. Plötzlich hüpft er wie ein großes Kind auf der Bühne umher. Später zerbricht van Veen eine langstielige Rose und denkt über zwischenmenschliche Beziehungen nach. Im nächsten Moment sitzt der Künstler wie ein Greis im Schaukelstuhl und trauert in hilflosem Zynismus um eine Freundin.
Sie ist gestorben an Krebs. Ein anderes Mal springt der Künstler von der Bühne einem Zuschauer auf den Schoß. Beim Rock'n'Roll-Lied bespritzt er sein Publikum mit Wasser. Im Saal landet auch die leere Plasteflasche. Sein Humor bleibt liebenswert und wird niemals eine Zote.

Ein mitreißendes Wechsel bad der Gühle inszeniert der Holländer. Lachen wir noch über den "Französischunterricht", schaudert es uns bei "Fatima Morgana" oder bei "Ben Alibi". Dem jüdischen Zauberer half seine Magie auch nicht, um im KZ zu überleben.
Tun wir uns mit manchen Themen schwer, van Veen packt sie mal poesievoll, mal sarkastisch, mal zärtlich an: "Ich lieb dich noch". Als Clown, Liedermacher und Musiker öffnet er die Herzen und Seelen seines Publikums. Gekonnt setzt der 53jährige Sprachen ein, die seine nicht sind. Er erzählt in holländisch, englisch, französisch und in deutsch seine Geschichten. Und er schafft es, als Ausländer zu zeigen, was es heißt, ein Weltbürger zu sein. Requisiten unterstützen seine Songs.

Kaputte Fahrräder, Puppen, ein Regenschirmgestell gehören zum Programm. Eine exzellente Band begleitet van Veen, die er wiederum mit seinem vielseitigen Instrumentenspiel hervorhebt.
Ihnen allen macht es Spaß. Dem Publikum ebenso. Van Veen dirigiert seinen Applaus. Mit jedem Lied kommt van Veen seinen Zuhörern ein Stück näher. Mit "Ich habe ein zärtliches Gefühl für jede Frau, für jeden Mann" (1973) will sich der Künstler verabschieden.

Er geht mit seiner Geige durch die Zuschauerreihen. Aber er schafft es nicht. Seine Freunde im Saal wollen mehr und mehr. Sie zollen einem großartigen Mann Anerkennung, der die Gabe besitzt, Traurigkeit und Glück, Haß und Liebe auf einmal zu verschenken.



Ilona Berger