NZ
Walter Titz

In Graz: Ein "Veenomen“ der faszinierenden Art

18 apr 1986

Er spuckt auf den Boden und erhält dafür den Applaus auch feiner Damen. Er sagt „Scheiße!", und selbst noble Menschen lächeln stillvergnügt in sich hinein (oder laut heraus - je nach Temperament). Man ist ihm auch ob plattester Schwiegermütterwitzchen nicht gram. Und verzeiht ihm die zum scheinbaren Ereignis aufgebauschten müdesten Gags.


Er ist ein Punk, den man gerne zum Lebensberater hätte. Ein Blasphe-miker, der alle Voraussetzungen mitbringt, die man sich für einen Stellvertreter Gottes auf Erden wünscht. Ein Exhibitionist, dem man bedenkenlos seine Kinder anvertrauen möchte. Der seltene Fall eines charismatischen Entertainers, dessen Verführungskünste kein Unbehagen auslösen: Herman van Veen war am Mittwoch und Donnerstag mit einem nagelneuen Programm Gast der NZ und des Club S im Grazer Stephaniensaal.
Van Veen, der 41 jährige Holländer, ist seit Jänner mit seiner exzellenten Band um den Pianisten Erik van ter Wurff unterwegs, hinter sich eine lange Reihe (wie in Graz) bis auf den letzten Stehplatz ausverkaufter Spielstätten und Lobeshymnen. Aus dem ehemaligen „Geheimtip" ist längst eine Show-Attraktion ersten Ranges geworden. Was nicht verwundert. Neben seiner strahlenden Unwiderstehlichkeit bringt van Veen ein seltenes Talent ins Spiel, exakter: seltene Talente.

Das neue, schlicht „Ein Holländer" überschriebene Programm bietet wieder jene unnachahmliche Mischung aus Konzert, Rezitations- abend, Kabarett, Theater und Zirkus. Im Mittelpunkt der Sänger, Erzähler, Pantomime, Clown, Musiker, Tänzer van Veen. Eine Bühnenerscheinung, neben der alles andere Staffage werden muß. Der Aufwand an Requisiten scheint denn auch völlig überflüssig.
Wo van Veen seine Stimme, seine Mimik, seinen Körper einsetzt, ist die Dichte der Darbietung am größten. Da braucht es keine Magnesiumblitze, keine Klangeffekte von der Tonkonserve, keine Kostüme, keine Handlangerdienste der als Statisten verkleideten Musiker. Aber all diese Einwände, wie gesagt, können die Intensität des einzigartigen Holländers nicht schmälern, verblassen vor den vielen Momenten, in denen Herman, das „Veenomen“, singend, flüsternd, schreiend, in den zahllosen Sprachen, die er beherrscht (auch jenen, die keiner Wörter bedürfen), sein Publikum bewegt.

Es sind die Nuancen, aus denen van Veen seine Botschaften formt, die seine absolute Glaubwürdigkeit ausmachen. Sie erlauben ihm, Todernstes neben Urkomisches zu stellen, ohne Peinlichkeit zu erzeugen. Ein Woody Allen des Showbusiness. Oder sollte, folgt man van Veens Logik, daß „Deutsch Holländisch mit einem etwas komischen Akzent“ ist, Allen der van Veen des amerikanischen Films sein?

Egal. Es macht keinen Unterschied.

Beide muß man lieben.



Walter Titz