Darmstädter Echo
Petra Neumann-Prystaj

Mit abstoßender Anziehungskraft

Herman van Veen in der Kongreßhalle: Sänger, Dichter und Protestierender

18 jan 1982

. Wer den holländischen Künstler Herman van Veen (36) nur von seinen Platten her kennt, gar von seiner - nicht besonders begeisternden - letzten "Die Anziehungskraft der Erde", kennt nur einen Bruchteil von ihm. Van Veen versteht es, sich "live" zu inszenieren. Er braucht dazu Raum, raffiniert gebündeltes Licht, Körpernähe und Erwartungshaltung. Und ist dabei wohl sein kritischster Zuschauer: nur nicht vom Publikum vereinnahmt werden. Seinen Fans, die ihn in hübsch etikettierte Schubladen stecken wollen, weil sie vielleicht die erotischen Eindeutigkeiten in seinen Gedichten oder die ironische Art schätzen, mit der er falsch verstandene Frauenemanzipation enttarnt, macht er's nicht leicht. Beifall ist ihm zu billig zu haben.


Bei seinem Konzert - nein seiner Show - am Freitagabend in der Kongreßhalle taucht er seine Zuhörer/Zuschauer in ein Wechselbad widersprüchlicher Gefühle. Sobald er sie auf seiner Seite weiß, die Schwingungen der "Wir-sind-ja-ganz-deiner- Meinung"-Welle den Mann auf der Bühne erreichen, wird der sanftäugige Kriegsgegner aggressiv und boshaft. "Klar, daß Sie applaudieren, bei einer so einseitigen Bemerkung", höhnt er, nachdem er seine Meinung über Ronald Reagan und die "Verunreinigten Staaten" kundgetan hat.

Mit achtloser Gebärde schmeißt er Reiskörner ins Publikum, klettert durch die Reihen, zerzaust einer Frau den Wuschelkopf, versteckt seine von hellen, langen Löckchen umrahmte Halbglatze unter dem Blondschopf eines jungen Mädchens und feixt ins Spotlicht: "Bin ich nicht schön?". Solche befremdenden Eulenspiegeleien aber sind vergeben, sobald er singend bekennt: "Ich hab' ein zärtliches Gefühl für den, der sich zu träumen traut." Doch man kriegt ihn einfach nicht zu fassen. Er kokettiert mit seiner abstoßenden Anziehungskraft, leistet es sich, sein Publikum mit nachdenklicher Verstimmung in die Pause zu schicken - mit einem stummen Spiel vor und hinter hohen Gittern, die er katzengewandt zu erklim- ymen versteht.

Als Gefangener ahmt er die Schaukelbewegungen von Affen im Zoo nach, deutet, in auswegloser Lage auf sich und die Einsamkeit reduziert, Selbstbefriedigung an, findet eine Violine, einen Geigenbogen - kann aber nicht spielen, weil er das Instrument nicht durch die engen Maschen des Gefängnisses zu ziehen vermag. Vorhang zu, Ratlosigkeit, Pause.

Van Veen, der manchmal boshafte Kobold und hämische Clown, kritisiert mit beißenden Worten und Liedern die Fehlentwicklungen dieser Welt: Krieg, die Einsamkeit des einzelnen in der zur Kommunikation unfähigen Familie, das Abstumpfen gegen das tagtäglich in Zeitung und Fernsehen publizierte Leid, die Mode, "sich nach innen zu verfeinern und nach außen hin zu versteinern". Orientierungshilfe soll der "Trommler" sein, das Herz. Wenn es sich nicht mehr rege, sei dies ein Zeichen dafür, "daß sich gar nichts mehr bewegt".

Es hätte sich schon gelohnt, allein des nuancenreichen, stimmgewaltigen Sängers Herman van Veen wegen in die Kongreßhalle zu kommen. Aber da waren auch noch der nicht weniger brillante Pantomime, der Geschichtenerzähler, der parodistische Rock'n'Roll-Tänzer und der Instrumentalist Herman van Veen (Violine, Klavier, Schlagzeug, rhythmische Improvisationen mit dem Bassisten am Kontrabaß).

Daß er ein Perfektionist ist und nichts dem Zufall überläßt, beweisen die technischen Anlagen. Selten waren die Mikrophone bei Gastspielen in der Kongreßhalle so gut ausgesteuert wie am Freitagabend. Komplizierte akustische Spielereien mit Echo-Effekten, "wandernden" Konzertklängen, kreuzenden Lichtkegeln und Knallkörpern klappten reibungslos.

Es war ein Abend für Kopf und Herz und Ohr und Auge.



Petra Neumann-Prystaj