Offenburger Tageblatt
Andreas Doms

Lieder voller Zärtlichkeit

17 apr 1984

Freiburg. Lässig, vielleicht sogar etwas schlacksig, steht er da in seinen weißen, weiten Hosen, schaut verschmitzt ins Publikum. Herman van Veen macht es Spaß, die Konventionen eines "üblichen" Konzertes zu brechen. Inniger Blickkontakt mit dem Zuhörer, bisweilen sogar kurze Dialoge, er zeigt mit dem Finger auf eine junge Frau, die ihren Platz sucht:
"Sie hat sich grad' ein Bier geholt." Diese Natürlichkeit steckt an, strahlt Wärme aus, macht den Kopf und auch die Seele frei für das, was Herman singen will.

Und das sind wahrhaftig nicht nur irgendwelche Lieder, sondern Botschaften, kleine Lebensphilosophien des liebenswerten Kerls mit der Halbglatze. Dieser Sänger, Musiker, Clown, Entertainer, Pantomime und Schauspieler möchte die Welt verändern - aber ganz leise, ohne Druck, ohne Hast; dafür mit viel Gefühl und Musik. Herman von Veen klopft erst mit dem Bogen seiner Geige leise an, bevor er sich ins Herz seiner Zuhörer schleicht.



Der niederländische Tausendsassa hatte für das Publikum in Freiburg ein Wechselbad der Gefühle eingelassen. Wenn er zur Geige greift, weiß man nicht, ob da nun der virtuose Musiker oder der Musikclown auf Beifall hofft. Dann singt er ein Lied über Edith Piaf, bei deren Chansons er als kleiner Junge vor lauter Wonne eine Gänsehaut bekam. Irgendwie komisch: Er singt's, und dann plötzlich hat der Zuhörer die von ihm beschriebene Gänsehaut. Hermans Texte fassen an, machen betroffen. Betörend schön der musikalische Rahmen für van Veens poetischen Lebensgesang. Jedes Stück ist perfekt arrangiert, sehr ausgetüftelt instrumentiert und akustisch optimal abgestimmt. Die musikalische Kost des Niederländers ist Ohrenschmaus. Herman van Veen liebt den Kontrast: Das Licht der Scheinwerfer wechselt, die Musik verstummt, Hermann mimt den Müll aufsammelnden Strichjungen auf dem Bahnsteig irgendeines Hauptbahnhofes.

Eine zweite Person mit langem Mantel und Hut tritt auf. Der Zuschauer kann nur an den sparsamen Gesten erahnen, worum es hier geht: Ein flüchtiger, sexueller Kontakt, ein paar Geldscheine wechseln den Besitzer - zurück bleibt ein Homosexueller, der sich um den menschüchen Kontakt betrogen sieht und den Strichlohn verschenkt. Die Minderheiten haben es dem Sänger aus Holland angetan, und er hat eine sehr eindringliche Art gefunden, für Toleranz zu werben.

Herman singt von der Mutter in Südamerika, die mit dem Foto von ihrem Sohn seit Jahren von Behörde .zu Behörde geht, um eine Nachricht, ein Lebenszeichen von ihm zu erhalten. Van Veen fleht förmlich um Verständnis für die Idealisten, die ihr Leben für eine Idee einsetzen, "egal ob für Jesus, Marx oder Mohammed", singt Herman. Und wenn er die Wolken beobachtet, dann sind das diejenigen, die ungehindert von Ost- nach West-Berlin ziehen können und Hermann ruft auf, ein Signal zu geben, daß "Beharrlichkeit zum Ziele führt".

Zwischendurch mimt Herman mal so eben einen kauzigen Blues-Pianisten und verschafft dadurch seiner hervorragenden Band die Chance, für ein paar wunderschöne Minuten musikalisch Vollgas zu geben, dann läßt er sich ein kleines Schlagzeug aufbauen und persifliert mit grotesken Verrenkungen die derzeit marktführenden Showstars und deren Art von Konserven-Musik. Und zum Schluß seines fast dreistündigen Programmes singt er noch ein leises Lied, eine wie er sagt schon 400 Jahre alte Volksweise, die fast zu Tränen rührt.

Dann gehen die Lichter an, die Band intoniert das Finale. Herman, mit einem Strauß weißer Kunstblumen und Schwarzer Frackjacke über seinem verschmitzten T-Shirt, springt in hochhackigen Frauenschuhen von der Bühne, schüttelt Hände, lacht, winkt und strebt dem Ausgang zu.

Das Publikum erhebt sich, stehende Ovationen für einen Abend, der glücklich, aber auch ein wenig nachdenklich macht.



Andreas Doms