Munsterliche Zeitung
KLAUS-PETER HESS

Herman van Veen wurde stürmisch gefeiert

Sänger ohne Grenzen

17 jan 1998

Münster - Wenn Herman van Veen auf der Bühne steht, ist man auf alles gefaßt und vor keiner Überraschung sicher. Denn der holländische Kreuz - und Querdenker paßt noch immer nicht in die Schubladen des Entertainments. Seit 30 Jahren tourt der Sänger, Geiger, Tänzer, Pantomime, Geschichtenerzähler, Chansonnier, Clown, Moralist und Träumer durch die Lande - als Botschafter für eine völkerverbindende Kommunikation und als Mahner für eine lebenswertere Welt. Lauthalse Agitation und zornige Provokation liegen ihm dennoch fern. Er bevorzugt die sanfte Spielart, die leise Kritik, den gedämpften Protest, den poetischen Widerspruch.


Bei seinem ersten von drei Auftritten bei Schoneberg in der Halle Münsterland kommt der Holländer mit der hohen Denkerstirn wie auf Katzenpfoten hereingeschlichen. Fast schüchtern seine Begrüßung ans Publikum. Ein kurzer, abstimmender Blick auf die drei Mitspieler an Flügel, Baß und Saxophon. Einsatz mit einem Jacques-Brel-Stück über das "vlakke land" in seiner Heimatsprache.

Doch der multikulturelle Musiker wechselt die Idiome alsbald so schnell wie Kostüme und Themen. Er ist in jeder Hinsicht grenzübergreifend. Deutsch-holländisch einige spartanische Takte über das "Wetter", französisch ein Lied über "Marieke", englisch das simple Bekenntnis "I Love You", und selbstverständlich deutsch, immer wieder deutsch. Mit dem markanten, typischen Akzent und dem verständlichen Vokabular singt er zu einfachen, melancholischen Melodien, die selbst Heiteres mit einem Hauch Wehmut umhüllen. Da bekommt auch eine frivole Textzeile über den Busen - "genausoviel wie Beatrix oder fast so gut wie nix" - seine bedachte Facette: "Du bist nie mit ihm zufrieden, wie er auch gewachsen ist."
Für Herman van Veen ist nichts ohne Belang. Ob er sich über Alltäglichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen ausläßt oder sich über Schattenseiten von Randexistenzen seinen Kopf macht. Manchmal selber ratlos, aber nie trostlos. Kein Thema schließt er endgültig ab. Nachdenken ist gefordert. Mitdenken sowieso.

Fast beiläufig wird er dann politisch, erinnert an die 25 Milliarden Mark, die Deutschland für den Eurofighter auf den Tisch blättern will. Das "nationale Erwachen" nach dem Mauerfall bringt er schnell auf den Punkt: "Im Westen die besten, im Osten die Kosten." Politisch Lied, garstig Lied? Nicht bei van Veen. Selbst auf dem Tretminenfeld der nachbarschaftlichen Kritik bewegt sich der Holländer mit bewundernswerter Anmut und Leichtigkeit. Ihm nimmt man nicht übel, ihn nimmt man ernst.

Die Zuschauer danken es dem Ausnahme-Künstler mit viel Applaus. Und selbst den bezieht er noch in seine Show mit ein. Aus der rhythmischen Beifallskundgebung improvisiert er mal rasch eine abwechslungsreiche Klatschsymphonie.
Ein Intermezzo nur, und dennoch auch Teil eines Konzepts: Van Veen definiert sich über Sein Publikum. Live ist er einer der Größten. Gute zwei Stunden lang. Dann ist vorläufig Ende, aber nicht Schluß. "I Love You" heißt der Zaubersong der Fans, der den Künstler immer wieder auf die Bühne zurückholt und ihm noch weitere Lieder und Geschichten aus ihm herauslockt.
Bis halb zwölf geht schließlich dieses Wechselspiel der gegenseitigen Sympathiekundgebung. Dann will er nur noch schlafen. Er hat es sich verdient.

Heute um 20 Uhr tritt van Veen in der Halle Münsterland noch einmal auf.



KLAUS-PETER HESS