Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
Michael Müller

Gemüt und Innerlichkeit

Herman van Veen derzeit zu Gast in München

16 nov 1985

Draußen, im matschnassen Novembergräu, bestrampeln drei Sportstypen die Holland-Räder. Drinnen hängen die Dinger am Plafond. Herman van Veen scheint um ein Markenzeichen bemüht, oder: Tourneemanager unterschätzen einen Entertainer, der solcherlei Reklamegestrampel nicht nötig hat. Herman van Veen wäre sich selbst Markenzeichen genug. Wasserblaues Auge, schütteres Blondhaar, Geige, viel Innerlichkeit und verstecktes Engagement. Aber, gottlob, auch noch etwas mehr: Musikalität, handwerkliches Können, Ironie und das Spiel mit den Zwischentönen.


In den Siebzigern, damals an der Leopoldstraße, ließen sich seine Zuhörer an vier Händen abzählen. Heute füllen sie das Deutsche Theater. Allerdings sind Parkas und Jeans gegen Harris Tweed und Flanell ausgewechselt; man ist in die Jahre gekommen.

Deren Zeiger stehen auf Gemüt und Innerlichkeit, mehr in Moll als in Dur. Ein wenig „Schwarzwaldklinik“ auch bei dem Holländer. Zumindest kokettiert er damit, oder führt, listig wie er ist, sein Publikum aufs diesbezügliche Glatteis. Um ihm dann unversehens eine Nase zu drehen, Ätsch, ausgerutscht.

Der Trick mit dem Ausrutschenlassen funktioniert bis zur Pause nicht immer. Dazu hat die Programmauswahl, mehr noch die Musik, allzuviel ernstgemeinte Sentimentalschlagseite; hängt die poetische Bemühung durch, kommt der Clown und Magier zu kurz. Aber er holt auf, mischt im zweiten Teil abwechslungsreicher; findet die verblüffendsten Pantomim-Übergänge, wodurch sich die Qualitäten seiner besten Nummern erst richtig erschließen.

Zu denen gehört ein gallbitte-res Lied wider das Unrecht im Namen des Herrn, ein Klabund -nahes Liebesgedicht, ein hochpathetischer, zartsüßer Hymnus auf Edith Piaf. Dazwischen Nonsens mit (manchmal) tieferer Bedeutung, ein eher postrevolutionäres Protestlied und herrliche pantomimische Miniaturen.

Welche Möglichkeiten Herman van Veens Stimme birgt, zeigt er eher nebenbei; die „Winterreiser-Krrähe tut aüch in seiner Quasi-Rezitation ihre Wirkung.

Schubert wäre mit dieser Lesart einverstanden gewesen.



Michael Müller