Rheinische Post
WERNER SCHWERTER

Herman van Veens Gastspiel im Schauspielhaus Der Tanzbär zeigt Zähne

16 nov 1977

Unter dem Einfluß der traumhaften Harmonie, die von der Musik ausgeht, mag eben das Gemüt schmelzen - da bricht Herman van Veen jäh mit seinen Faxen und Farcen ein, gefriert die schönen Gefühle, zerhackt sie, keilt seine scharfen Späße in die Elegie. Schon am Anfang seines Gastspiels im Schauspielhaus zerstört grelle Dissonanz all die Behaglichkeit, die sich mit dem Wohlklang der perfekten Begleitmusik verbreiten will. Der vielseitige holländische Liedermacher, Kabarettist, Pantomime, Musikant, marschiert als ein schwarzgekleideter apokalyptischer Trommler auf die Bühne. Seine Lyrik, Liedkunst und Lächerlichkeit kann wohl-, aber auch wehtun. Dies mehr als früher. Der kindliche Clown hat einen bösen, satirischen Galgenhumor entwickelt.


Nach seinem Auftritt vor drei Jahren in der Rheinhalle blieb van Veen vor allem als buntes, bizarres Unterhaltungs-Unikum in Erinnerung. "Ich bin ein furchtbar dicker großer Brauner Bär, schaut mal her ..." - so stapfte und schwankte er damals vorbei und war so richtig zum Liebhaben. Jetzt ist sein Spiel mehr noch zum Nachdenken. Der Tanzbär zeigt Zähne.

Gewiß will er noch, wie er anschmiegsam singt, "etwas Wärme suchen". Und: "Ich sehne mich nach einem positiven Geräusch." Er hat auch das berühmte "zärtliche Gefühl" bewahrt "für den, der sich zu träumen traut, und wenn sein Traum die Wahrheit trifft, noch lachen kann, wenn auch zu laut."Van Veen tritt derzeit auch sonntäglich im ARD-Programm zur Kinderstunde auf. Sein Tournee-Repertoire ist aber an den dicksten Stellen anders. Ob man, wenn ein Alptraum die Wahrheit trifft, auch noch lachen kann?

Wohl ist van Veen ein fideler Fiedler, der in seiner musikalisch gleichfalls brillanten Gefolgschaft (darunter als Solist besonders hervorragend der Gitarrist Harry Sacksioni) virtuos die erste und einzige Geige spielt. Doch der gelernte Musiklehrer spielt den Hörern auch bubenhafte Streiche. Er quält aus seinem Instrument nach schöner Musik auch Töne, die klingen, als säge er mit dem Bogen einer Katze den Schwanz ab.
Genauso gemischt ist das ganze Programm.
Im ersten Teil zum Beispiel zieht van Veen eine große Präsidenten-Show ab, parodiert Politiker-Posen, richtet seine Rede ans "geliebte Volk von Düsseldorf", derweil die Lautsprecherboxen synchron ein ohrenbetäubendes Jubelgeschrei posaunen, rhythmisch passend zu den siegessicheren An- feuerungs-Gesten des Pantomimen auf dem Podium.

Nach der Pause, nachdem van Veen auch (fast nur pflichtschuldigst, mag es scheinen) zwei, drei seiner eingängigen melancholischen Lieder vorgesungen hat, schaut er seinem Publikum ins Gesamtgesicht und findet, es bedürfe einer Aufmunterung. Wie einer jener Entertainer, die ihre Fans beherrschen, animiert er das Publikum, einen flotten Hit-Rhythmus mit zu klatschen. Er putscht mit ein paar Phrasen und Tanzschritten, mit etwas Schaumschlägerei die Stimmungswogen auf und rät, doch zu passenden Stellen der Musik im Chor zu schreien. Und er sagt beiläufig, den Dissidenten, die nicht mitmachen wollten, werde man nachher schon den Hals umdrehen.

Dann setzt die flotte Musik ein, van Veens Faust schnellt vor, dies ist das Zeichen - und die überwiegend jungen Leute schreien unisono (zwar nicht alle, aber eine hörbare Masse): "Heil" Und dies, so oft das Zeichen kommt.
Bei einem gewöhnlichen Hitparaden-Star müßte man von einer Bombenstimmung berichten; hier auch, aber im wahren Wortsinn. Marschmusik dröhnt dann, die Band marschiert, eine schwarze Fahne flattert, weißer Nebel wallt vom Bühnenboden hoch Was hatte van Veen längst vorher bekannt?
Er sei keinem Weltanschauungs-Verein verbunden, sondern: "Ich habe einfach Schiß." Wovor? Vielleicht auch vor einem Publikum, das gebannt nur in eine, seine Richtung starrt und deshalb so leicht zu beherrschen ist.
"Klatsch you all for yourself, you verdient es." Van Veen hat, hoffentlich merkt man's, eine Lehre erteilt.



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