MEINERZHAGENER ZEITUNG
Fritz Werner Haver

»Die Vergangenheit lebt hier in Deutschland«

16. September 1989

Frage: Deine Konzerthallen sind immer ausverkauft. Wie erklärst Du Dir Deine große Resonanz?

Veen: Vielleicht weil ich meinen Beruf sehr mag. Die Leute schätzen immer jemaden, der mag, was er tut. Und man sieht auch auf der Bühne, daß es ernst gemeint ist, auch der Spaß. Ich wüßte nicht, was ich anfangen sollt, wenn ich diesen Beruf nicht hätte. Er ist eine phantastische Möglichkeit, viele Sachen, die ich nicht kapiere, loszuwerden. Diese Dinge sind immer interessanter als jene, die ich begreife. Damit auf der Bühne herumzurennen und damit • zu spielen, das kann ich jedem empfehlen. Und der Spaß und das Glück, welches wir dabei empfinden, wird dem Publikum vermittelt. Es hat Zweck, das zu tun, was man gerne tut. Jeder kann irgend etwas sehr gut, aber oft traut man sich nicht, das zu tun, weil es oft etwas ganz merkwürdiges ist.

Frage: Du arbeitest viel in Frankreich, in Deiner Heimat und den Vereinigten Staaten. Wie ist es für Dich in Deutschland?

Veen: Ich erfahre es als ganz phantastisch, daß ich in diesem Land so willkommen bin. Ich will nicht sagen, daß mich das verpflichtet aber ich finde es einfach schön.

Frage: Singt Du gerne auf Deutsch?

Veen: Wahnsinnig gerne. Von allen Sprachen, in denen ich singe, ist Deutsch die sanfteste. Eine Sprache, die sehr leicht und hoch im Kehlkopf wohnt. Holländisch kommt irgendwo von unten eine Kehlkopfkrankheit, wie man ironisch sagt, Französisch ist sehr nasal, und Englisch hat das merkwürdige »the«, die komischen Zungengbewegungen. Deutsch ist für mich am sanftesten, und meine Stimme wirkt in Deutsch auch viel sanfter als in anderen Sprachen.

Frage: Hängt Dein Erfolg hier bei uns auch damit zusammen, daß das Publikum Dich versteht, wenn Du auf Deutsch singst, und sprichst? Veen: Das hat natürlich sehr viel damit zu tun. Ich habe mir die Mühe genommen, diese Sprache kennenzulemen. Je mehr ich von ihr weiß, desto deutlicherberkenne ich, wiue wenig ich diese Sprache noch spreche. Aber in Gesprächen und auf der Bühne kann ich mich jetzt ganz okay verhalten. Das hilft enorm, und dabei spielt - glaube ich - auch unser holländischer Akzent eine Rolle. Das klingt wohl nett. So wie es auch wahnsinnig nett klingt, wenn ein Ausländer sich die Mühe macht, Holländisch zu lernen. Auch wenn er es total verkehrt ausspricht, klingt es okay, weil er einen Schritt macht. Das ist wichtig.

Frage: Du bist bald wieder in der DDR. Ist es da anders als in Westdeutschland?

Veen: Ja, weil die Leute da weniger Raum haben. Sie sind wie in einem Park, wo sie nicht heraus und herein gehen können. Deshalb kennen sie meine Texte besser als ich, auch mehr Bedeutungen. Sie drehen ein Blatt sechsmal um und hören ein Lied neunmal. Wir hören es vielleicht nur ein- oder zweimal oder lesen ein Buch nur einmal. Es ist erstaunlich, wieviel nette Leute von wahnsinnig wenig wissen - und wie wenig wir von wahnsinnig viel wissen. Also brauchen wir einander schrecklich. Ich habe gute Freunde da, und die Konzerte sind etwas ganz Besonderes, weil ich ein Vögel bin, der fliegen kann, und die Leute Vögel, die nicht fliegen dürfen. Und so komme ich rein und erzahle und flieg raus und erzähle, wenn es klappt nicht immer. Weil ich dann nicht wieder reinkomme für zwei oder drei Jahre, wiel ich wieder etwas geflüstert oder gesagt habe, was nicht paßt.

Frage: Hast Du Schwierigkeiten gehabt, das erstemal nach Deutschland hinzugehen wegen der deutschen Vergangenheit? Hast Du da eine Schranke empfunden?

Veen: Ja, aber das habe ich heute noch, weil man immer damit konfrontiert wird. Wie man zum Beispiel hier am Nebentisch diesen älteren Herrn über Frauen reden hört, wie die da mti nacktem Busen am Strand rumlaufen und wie grausam er das fand, dann denke ich in meinem Herzen: ,Gott sei Dank hat er es nicht mehr zu sagen.’ Diese Klarheit bei bestimmten Leuten, diese Hartheit von Wissen - das ist ein Faktum. Die Vergangenheit lebt hier, und der begegnet man. Da ist eine abos-lute, ausgesprochene Realität. Und mein Konzert hier fängt immer an mit dem ersten Wort, das ich sage: ,Es war Krieg, 1945. Deutsche Soldaten marschierten durch nasse, holländische Straßen. Spatzen flüchteten. Aasgeier lachten sich ins Fäustchen. Hühner machten sich schön. Und ich lag im Bauch meiner Mutter und wartete.’

Frage: Es geht ja auch bei deinen Texten oft um Gefühle. Wenn zum Beispiel ein Deutscher sagen würde: ,Ich hab’ ein zärtliches Gefühl’, dann klingt das anders als bei Dir.

Veen: Das stimmt sicher, obwohl die ersten Reaktionen auch hier darin bestanden, daß man sagte, ich müsse schwul sein. Knallhart, das hat mich verletzt, muß ich sagen. Doch langsam hat man sich daran gewöhnt, daß man als Mann auch über seien Gefühle was sagen kann, selbst wenn diese Gefühle so zerbrechlich sind wie zum Beispiel in diesem Lied. Mein Handicap war, daß ich immer quer zurrf Zeitgeist stand. Da gab es Pop und Rock und Punk, aber wir waren immer mit unserer eigenen Sache unterwegs. Dadurch sind wir frei. Wii haben nichts versprochen, weil es"in"oder "out"war - das macht es auch verdächtig.



Fritz Werner Haver