OLDENBURGISCHE VOLKSZEITUNG
KLAUS RIDDERING

Gespräch mit dem Sänger und Poeten Herman van Veen

„Christus bringt mich weiter“

16. Juni 1989

„Christus ist eine Person, die mich als Mensch weiterbringt”, sagt der niederländische Musiker und Poet Herman van Veen. In einem Interview äußerte sich der niederländische Künstler zu Fragen des menschlichen Zusammenlebens und über die Bedeutung, die Jesus Christus für ihn hat. Hermann van Veen, Jahrgang 1955, gilt als einer der profiliertesten Liederschreiber. Während seiner erst kürzlich beendeten jüngsten Deutschlandtournee kamen rund 400 000 Menschen in die Konzertsäle.


Frage: Herr van Veen, ein Kollege von Ihnen, der Rocksänger Heinz Rudolf Kunze, hat Sie als einen Menschen charakterisiert, den Karl Marx wohl als das Ideal der allseitig entwik-kelten Persönlichkeit bezeichnen würde. Wie sieht sich Herman van Veen selbst?

van Veen:

Ganz einfach: Ich bin glücklich verheiratet und Vater von vier Kindern. Ich mache mir ab und zu, wie viele Menschen, Gedanken über Gott und die Welt. Auf der Bühne bin ich für die Leute zwei Stunden Kino. Nicht mehr und nicht weniger. Wollen die Leute Popmusik hören, nehmen sie sich Michael Jackson oder die Bee Gees. Wollen sie mal leisere Töne, komme ich vielleicht an die Reihe. Das ist wie ein Blatt am Kalender. Man kann es abreißen, aufbewahren und je nach Bedarf wieder herholen.

Frage: Und wie kann das konkret aussehen?

van Veen: Jeder Mensch auf der Welt muß wissen, daß er etwas bedeutet für sich und für andere. Das muß er nur begreifen lernen. Nur dann kann sich aus einem abstrakten Glauben an die Menschen auch sinnvolles Handeln ergeben. Dann läßt sich der Glaube auch im täglichen Leben praktizieren. sätzlich Probleme mit aller Dogmen. Es gibt Dinge, die las sen sich auf tausenderlei Art in terpretieren. Das bedeutet füi den einzelnen aber auch tau send verschiedene Wahrheiten

Frage:
Hat das was mit Jesus Christus zu tun?

van Veen:
Wenn mich jemand fragt: Bist du praktizierender Christ?, sage ich vielleicht nein. Aber diese Person ist für mich ein grandioses Beispiel, wie die Leute handeln sollten. Diese Person ist ein wirkliches Leitbild.

Frage: Brauchen die Menschen Leitbilder?

van Veen:
Ich würde die Frage anders stellen. Jeder Mensch ist für den anderen wichtig. Die Menschen müssen nur lernen, aufeinander zuzugehen. Sie müssen zeigen, daß sie die Hilfe des anderen gebrauchen. Man muß die Fragen kennen, sonst findet man nie Antworten.

Frage: Inwieweit beeinflußt Sie die Person Jesus Christus auf der Suche nach Ihren Fragen?

van Veen: Christus ist für mich nicht deshalb eine positive Figur, weil ich an ihn glaube. Es gibt Sätze und Ideen von diesem Mann, die ich schlicht phantastisch finde.

Christus ist eine Person, die mich als Mensch weiterbringt. Ich staune immer wieder. Wenn ich beispielsweise mal ein Problem habe, brauche ich mich nur an ihn zurückzuerinnern und stelle dann fest: Im Prinzip war es seine Frage.

Frage: Seine Frage als Mensch, der ganz gewöhnlich unter Menschen lebte?

van Veen: Die Unterscheidung Gott oder Mensch spielt für mich keine entscheidende Rolle. Wenn ich bei Christus in meinem persönlichen Leben viele Antworten finde, so braucht seine Lehre für mich nicht gleich Religion und seine Person nicht gleich Gott zu werden. Über Glaube, Gott, Religion und Kirche kann man sich die Köpfe heißreden. Aber es wird in diesem Zusammenhang immer etwas geben, was ich nicht verstehe. Ich schätze aber das, was ich nicht begreife, genauso hoch ein, wie das, was ich begreife.

Frage: Was — beispielsweise — bereitet Ihnen Schwierigkeiten?

van Veen: Ich habe grundsätzlich Probleme mit aller Dogmen. Es gibt Dinge, die las sen sich auf tausenderlei Art in terpretieren. Das bedeutet füi den einzelnen aber auch tau send verschiedene Wahrheiten- Warum soll dann eine davon zui konkreten Wahrheit umfunktioniert werden? Hier wird doch eine Energie versteinert. Wenn es einen Gott gibt, braucht ei niemanden, der für ihn spricht.

Frage: Sondern?

van Veen: Wir glauben, Gott für uns vereinnahmen zu können. Doch was für ein Angebot können wir diesem Gott eigentlich unterbreiten? Wenn er diese Erde sieht, muß er sich doch mit Grauen abwenden. Die Menschen vergiften die Umwelt, sie bauen Raketen und Panzer und streiten sich über jede Kleinigkeit. Was soll Gott hier? Bevor er einen Grund hätte, zu uns zu kommen, müßten wir uns erst einmal ändern. Wir müßten diese Welt wieder lebenswert machen — so, daß sie auch Gott gefällt. Ich lebe mit meinen Ideen und Plänen. Ohne sie wäre ich ein Stück weit tot. Und je länger ich daran feile und arbeite, desto länger lebe ich auch. Für mich ist es deshalb immer wieder deprimierend, wenn ich sehe, daß es Menschen gibt, die überhaupt keine Hoffnungen und Perspektiven mehr haben. Sie leiden unter dem Gefühl, beispielsweise weil sie arbeitslos sind, in dieser Welt überflüssig zu sein. Schon aus diesem Grund ist die Arbeitslosigkeit ein Thema, das wir kollektiv aiif keinen Fall akzeptieren dürfen. Dies ist eines der dringlichsten Anliegen der heutigen Zeit.



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