BADISCHE ZEITUNG
STEPHAN BERG

Bis hierher. Und weiter ?

Der Traum von einer guten Welt: Hermann van Veen trat in der Freiburger Stadthalle auf

16. Mai 1989

Eine winzige deutsche Fahne flattert im Wind. Von irgendwo her klingt Glenn Millers „In the Mood“. Plötzlich ein Blitz, ein gewaltiger Donnerschlag. Dann geraten die Dinge in Bewegung. Ein großer Ball kullert auf die Bühne. Eine riesige rote Fahne zieht von links nach rechts. Ein Kleiderbügel schwebt von oben herab. Aus der Kulisse tastet sich ein schlaksiger, langer Kerl mit weißer Augenbinde und schütterem blonden Haar, stolpert erst suchend herum, entdeckt dann das Publikum, und gleich singt er los, ganz voll und weich, ganz ernst und heiter: „Das' einzige, was sicher ist, ist, daß heute nichts mehr sicher ist.“

Willkommen bei Hermann van Veen, dem Mann mit den großen Kinderaugen, der aussieht wie eine Mischung aus Pierre Richard und Marc Knopfler, dem Chef der „Dire Straits“. Als „Clown und Holländer“ bezeichnet er sich selbst ganz bescheiden. In Wirklichkeit ist er ein wahres Multitalent. Ein Sänger und Musiker mit abgeschlossenem Gesangs- und Geigenstudium, Tänzer, Pantomime, Schauspieler. Nebenbei auch noch Herausgeber der Zeitschrift „Pierrot“ und erfolgreicher Unternehmer mit seiner 968 gegründeten „Kunst- und Kommunikationsfirma Harlekijn“, in der er Platten, Bücher, Theaterstücke und Filme produzieren läßt. Ein Tausendsassa nicht nur auf den Bühnenbrettern. 44 Jahre alt und der drohenden Glatze zum Trotz ein nimmermüdes, vibrierendes, poetisches Energiebündel.


„Bis hierher - und weiter“ heißt das Motto, mit dem er diesmal durch die Lande tourt. Das ist mehr als nur ein griffiger Tourneespruch. Es ist das künstlerische Credo dieses humanen Holländers, der, im vollen Bewußtsein des „gebrechlichen“ Zustandes dieser Welt, dennoch nicht auf hören kann, an die verändernde Macht der Poesie, des Traums, der Sinnlichkeit und der Liebe zu glauben. „Irgendwie geht es immer weiter, auch wenn es noch so düster aussieht.“ So schlicht traut sich heutzutage keiner mehr das zu sagen, es sei denn, man ist Clown oder Kind. Hermann van Veen ist beides, und was wir in der nur gut zur Hälfte gefüllten, aber restlos begeisterten Freiburger Stadthalle zu sehen und zu hören bekommen, das ist ein schöner Traum: der Traum von einer Welt, in der am Ende alles gut wird, wenn man an das Gute glaubt.

Natürlich ist van Veen trotzdem nicht unkritisch. Die Politik Amerikas, das Apartheidsregime in Südafrika, Waldsterben und Umweltkatastrophen, dargeboten im ironischen Schunkelrhythmus von „Don’t worry be happy" - all das kommt vor bei Hermann van Veen. So richtig böse oder zynisch wird er aber selbst bei diesen Themen nicht. Auch hier bleibt er seiner Überzeugung von der allesheilen-den Kraft der Poesie treu. Sogar der eigene Tod, den er kunstvoll-komisch auf der Bühne inszeniert, läßt sich durch dieses Wundermittel rückgängig machen.

Ein Wink nur, der Sarg wird wieder weggerollt, und Hermann van Veen beginnt wieder zu singen von seiner Tochter „Anne“ und von der Liebe, läßt blaue Blumen blühen und verwandelt rote Clownsnasen in rote Würfel. Bis hierher. Und weiter?

Nein, man muß es leider in aller Deutlichkeit sagen: Weiter wagt her-mann van Veen sich nicht. Er bleibt ganz bei sich, bei seiner bewährten Mischung aus clownesken Albereien mit zu hohen Mikrofonständern, die mittlerweile aber eben arg abgenutzt sind, lautmalerischem Klamauk, pantomimischen Szenen (ein allerdings wirklich hinreißendes Slow-Motion-Tennismatch) und seinen nie versiegenden poetischen Empfehlungen: „Und wenn du Schiß hast, sing einfach ein Lied, das macht der Papi auch so.“

So grundehrlich und lieb das auch immer gemeint ist, §o sehr hinterläßt dieser großgeratene Kleinkunstabend doch am Ende ein reichlich fades Gefühl. Für ein schlicht „bezauberndes“ Erlebnis waren die Clowns- und Shownummern einfach zu hausbacken, zum intellektuellen Genuß fehlte es den kritischen und satirischen Pointen eindeutig an Schärfe. Am Ende: Hermann van Veen zwischen allen Stühlen.

Da sitzt es sich nicht gut.



STEPHAN BERG