Soester Anzeiger
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Chansons kommen wieder

16 mei 1974

Holland hat nicht nur Jazzleute, Pop-Stars, Show-Wunder herkömmlicher Provenienz zu bieten. Es ist ein Land mit künstlerischer Bandbreite - die bis zur unverhohlenen musikalischen und textlichen Lyrik reicht.


Aktuelles Beispiel: die Lieder des Herman van Veen, kürzlich im Deutschen Fernsehen zu bewundern, demnächst auch "on stage" in Germany. Wer's nicht abwar- ten kann, sollte sich seine LP "Ich hab' ein zärtliches Gefühl" anhören (Polydor 2480 178). Ich möchte sie (trotz bemerkenswerter Konkurrenz) als "Platte des Monats" hochjubeln.

Die aktuelle Plattenkritik

Da wäre zunächst einmal die Musik zu bewundern. Dieser Herman van Veen stimmt einen mit der Geige so ein, daß man auf Zärtlichkeit geradezu getrimmt ist, wenn das Ensemble einsetzt. Erik van der Wurff ist vielleicht der wichtigste der Begleitmusiker. Seine Orgel jazzt nicht, wie heute so oft üblich, sie ist von Manual bis Pedal auf Dezenz eingestellt, und diese löbliche Eigenschaft zeichnet überhaupt sämtliche beteiligten Musikanten aus: Tonny Koning (on drums) beispielsweise, der sich nie selbst als Solist herauszustellen bemüht ist und durch Einfühlsamkeit besticht.

"Zärtliche" Virtuosität

Van Veens Stimme ist einschmeichelnd, nahezu verführerisch. Da er aber auch auf Deutsch sehr klar artikuliert, fühlt sich der Zuhörer nie überfahren. Trotzdem ist das zwingend. Man muß zuhören, genauer gesagt: den Texten zuhören.
Jenen Texten, die die Schlichtheit eines Udo Lindenberg - zweifellos der beste aller deutschsprachigen Liedermacher, die sich nicht zu den Barden zählen - mit der Fantasie eines Konstantin Amadeus Wecker vereinen und an Peter Maffey erinnern, ohne daß der Vergleich dem Utrech- ter "Teufelskünstler" schaden könnten.

Beste Chanson-Tradition bringt die letzte Nummer der LP, "Alles, was ich hab' Hier berichtet Herman über einen, der eigentlich alles von anderen bekommen oder geschenkt erhalten hat - seinen Namen, sein Wesen. Den anderen gibt er die Hand; wenn er jemanden liebt, liebt er jemand anders. Zitat:



"Die Tränen, die ich laß',
wein ich um einen anderen.
Den Sinn, den ich hab',
hab' ich in einem anderen,
und die Liebe, die ich fühl,
ist für einen andern.
Nur meine Gänsehaut ist von mir selbst."



Wenn's einen da selbst überläuft, dann für einen anderen: für Herman



np