Schwäbische Donau-Zeitung
Heinz Koch

Ein moderner Clown,

16 jan 1982

Er flüstert und schreit, trommelt und streichelt: Herman van Veen in der Donauhalle


Herman van Veen: Nie gehört? Nie gesehen? Letzteres kann nicht sein! Er hatte schon so viele Fernsehauftritte; es ist so ein Mittdreißiger, einsachtzig vielleicht, was an Haaren noch auf dem Kopf ist, zeigt, daß er blond war, ausdrucksfähiges Geischt, klare Augen, volle Lippen, sehr durchtrainiert. Was er machte in der Donauhalle? Wie er war? Er sang, tanzte, spielte Geige, Schlagzeug, etwas Mundharmonika und Piano. Alles zusammen war "formi- dable", um einen Ausdruck zu verwenden, den er oft selbst gebraucht. Und im Gespräch mit der SÜD- WEST PRESSE nannte Herman - so rufen ihn alle - auch das Publikum "formidable". "Wir hatten ein sehr schönes Konzert zusammen mit dem Publikum", strahlte er nach zwei Stunden mächtig gutem Entertainment, einer Stunde Zugaben und 30 Minuten Autogrammgeben. "Ulm", sagte er immer wieder auf der Bühne - verächtlich zuerst (ja, er sagte sogar "Stuttgart" anstatt "Ulm" - wollte wohl das Wort vermeiden) - waren doch nur 600 in die riesige Halle gekommen. Nach der Vorstellung jedoch, in der Garderobe, versprach er: "Ich werde wiederkommen!" Dann wird die Entscheidung, die Donauhalle zu nehmen, vielleicht etwas realistischer sein. Wenn man Ulm und sein Publikum kennt, weiß man, daß ein Mann wie van Veen beim ersten Mal ins Kornhaus oder ins Edwin-Scharff-Haus gehört/ "Ich habe keine Leute gesehen, irp- mer nur das Schild WC", bedauerte er. Herman van Veen ist kein Musiker und kein Sänger, er ist kein Liedermacher und kein Tänzer, er ist kein Schauspieler und kein Showmaster. Aber er musiziert (hat Geige studiert) und singt (hat er auch studiert), er macht Lieder und tanzt, er schauspielert und macht (ausgezeichnet) Pantomimisches und - er macht Show. Herman van Veen ist ein Harlekin. Er ist ein Harlekin von der Sorte, die .nicht ihr Gesicht versteckt, wenn sie die Wahrheit sagt. Er ist ein Clown, der die Pappnase nicht braucht. Überhaupt ist er ein Harlekin der alten Sorte, der ohne große Requisiten auskommt. Zwar brachte er die beste Bühnenausstattung, die in den letzten vier Jahren in der Donauhalle zu sehen war, mit; er hatte eine in jeder Hinsicht glänzende Beleuchtung, eine Technik, die nahezu an die bislang unübertroffene der Belafonte-Crew heranreichte und er hatte neben einigen - teils schockierenden - Bühneneffekten drei sehr gute Musiker: Erik van der Wurff, sein Pianist, mit dem er seit 17 Jahren zusammen ist; Cees van der Laarse, der Bassist, und Eelco Coster, Percussion und Blasinstrumente (Klarinette, Saxophone). Aber: Herman ist der Größte, wenn er in engster Nähe zum Publiktim arbeiten kann. Oft verläßt er die Bühne, singt und spricht ohne Mikro, parodiert und gestikuliert. Ganz richtig wird er, nachdem drei oder vier Leute so unentwegt applaudierten, daß er etwa fünf Minuten nach Ende des Konzerts noch einmal den riesigen Vorhang halb öffnen läßt, um den vieren noch eins zu singen. Daß dann doch zweihundert zurückkamen und teils auf der Bühne, teils an der Rampe Platz nahmen, machte das Ganze rund. Und vorher war er auch sehr gut dran, als er im Zugabenteil Stücke des Kinderprogramms zeigte, das seine "Harlekin"-Compagnie vor der Tournee ein Jahr in den Niederlanden gezeigt hat. Da war zu erahnen, wie sehr er die naive Phantasie, das Spontane im Publikum braucht, das beinahe nur noch die Kinder haben. Die Erwachsenen in der Donauhalle waren sehr realistisch, kamen offensichtlich zum Teil mit der Widersprüchlichkeit des Herman van Veen nicht klar, waren irritiert - auch so ein Wort, das er oft gebraucht - und konsterniert. Aber er provoziert auch, was das Zeug hält, ist leise und derb, streichelt und trommelt, flüstert und schreit, ist fein und obszön. Seine "texte? "Traute Zweisamkeit" besingen sie, die Liebe, seine Träume, kämpfen gegen die verkehrte (unpolitische) Innerlichkeit und die falsche Emanzipation und handeln sich "Pfui"-Rufe ein. Der Denker Herman van Veen macht mit seinen"Liedern nachdenklich - und rettet sich dann mit seinen Harlekinaden wieder heraus.



Heinz Koch