Wilhelmshavener Zeitung
Ulrich Groll

Der Anspruch, Harlekin und Kind zu sein

Herman van Veen in der ausverkauften Stadthalle begeistert empfangen

15 nov 1984

Ein "Clown mit Geige, Glatze, einer dummen Nase und einer Puppe" - ein entwaffnender Herman van Veen ohne die Utensilien der Macht. Am Sonnabend eroberte er 1300 Menschen in der Wilhelmshavener Stadthalle, Zigtausende werden seinen friedlichen Feldzug erleben, betroffen, aber auch erheitert sein.


"Es gibt nichts Schöneres, als Menschen zum Lachen zu bringen mit Sachen, die zum Heulen sind. Das Allerschlimmste, oder besser, das Allerschwierigste ist dann, daß man dabei selbst heult", sagte Herman van Veen einmal. Nichts ist leichter, ihn mißzuverstehen, macht man sich nicht frei vom täglichen Trott der Gedanken, verschließt man sich den ganz einfachen Wahrheiten, die so gerne von der "komplexen Gesellschaft" mit Relativierungen verschüttet werden.

Die Menschen zum Lachen zu bringen, ist für den holländischen "Harlekijn" mehr als für einen Karl Dali oder Dieter Hallervorden; er will auch das befreite Lachen, wenn man seine aufgesparten Ängste über Bord wirft. Van Veen empfand unendliches Glück nach furchtbarem Schock, als ihm in der Dritten Welt eine Mutter die Leiche ihres kleinen Kindes in die Arme legte. Glück, weil dies ihn herausriß aus der Berührungs- losigkeit hunderttausendfach wiederholter Nachrichten und Bilder vom Elend dieser Welt - Glück, weil dies ihm Energie gibt zu kämpfen.
So schöpft er aus der Machtlosigkeit, teilt mit vollen Händen aus, um viele zu vereinen. Als melancholischer Clown bleibt er kein Berufstrauernder, aber ein Botschafter tränenreicher Überwindung und ungebrochener Heiterkeit der Seele.

Der paradoxe Poet fällt nicht wirklich in Widersprüche, vollzieht nur chamäleonhaft rasch darstellerische Wechsel, mal der quirlige Tänzer, mal Disko- Vamp, dann rockiger Schlag zeuger, am häufigsten Sänger sensibler Erfahrungen.

Des Multi-Könners virtuosen Umgang mit der Sprache und den Tönen hervorzuheben, scheint fast überflüssig; es ist die besondere Qualität dieses Künstlers, der Kraftvolles auch in den leisen Lauten spüren läßt. Als ihm beim jadestädtischen Start seiner Tournee der deutsch übersetzte Text eines Liedes nicht gleich in den Kopf will, beweist er sich, den Text holend, als Choreograph der Panne, wo andere rot anlaufen würden.
Provozierend geht Herman van Veen die Schrecken der Welt unserer Tage an. In dem Lied "Die Bombe fällt nie" formuliert er nach dieser einschlagenden Nachricht: "Hat das nicht schlimme Konsequenzen? - Die Zukunft hatte bislang Grenzen - doch wenn man wieder planen kann - was fängt man mit der Zukunft an?" Und ob wir dann vielleicht "wie Lemminge ohne Meer" dastünden? Van Veen legt den Finger auf die Wunde der Gewöhnung an die latente Gefahr der Selbstvernichtung.

Er selbst hat zum Beispiel eine "geniale, naive" Idee: das kleine Holland vor dem Zerriebenwerden durch die Weltmächte in Ost und West im Falle eines Falles durch einen Schutzschirm aus Musik zu überziehen. Klänge, die Kanonen verstopfen, Töne, frei von Ideologie und darum wirksam in jedwede Richtung. Van Veen entwickelt seine menschlichen Theorien oft mit wenigen einfachen Worten, eingestreut in gestikulierende Pantomime, überzeugend durch direkte Wirkung.
Als Mensch pocht er darauf, kindlich-weise und nicht politikverfremdet argumentieren zu dürfen, braucht sich nicht diplomatisch verschanzen, dringt ohne Vorwarnung an die empfindsamen Stellen jener, die ihm zuhören.
Und das werden immer mehr, nicht nur in Wilhelmshaven, wo seinen ersten Auftritt noch wenige erlebten, inzwischen aber das "Ausverkauft" die Regel ist.



Ulrich Groll