FRAENKISCHE NACHRICHTEN
Anja Landeck

Mit weißem Staub auf der Geige

15. Oktober 1992

TB Hermann van Veen im „Grand Hotel“ Der holländische Liedermacher in Begleitung auf einer phantastischen Musikreise durchs Leben ilin holländischer Musiker, sein Lieblings-nstrument unterm Arm, an der deutsch-..ederländischen Grenze. Ein Zöllner: „Was st das auf der Geige? Das Weiße, unter Steg md Saiten?“ Der Geiger: „Kolophonium.“ Gewöhnlicher Kommentar des Grenzbeam-en: „Das sagen se alle.“ Der Beamte zitiert len niederländischen Staatsbürger ins Dienstgebäude. Ausziehen muß er sich. N'ackt steht der Musiker da - wie ein „Apfel“. Die Körper-Kontrolle darf beginnen. Da kommt ein zweiter Grenzbediensteter unzu und möchte für seine Freundin von lern Entblößten ein Autogramm. Der Vio-inist ganz cool: „Vielleicht hat ihr Kollege :twas zum Schreiben?!“


Dieses persönliche Erlebnis, unter Verlacht des Drogenkonsums beziehungsweise handeis gestanden zu haben, erzählte Liedermacher Hermann van Veen am Diens-agabend im ausverkauften Konzert-Saal es Congress-Centrums in Würzburg. Der Irenzübergang war nur eine Station auf der hantastischen Reise des eingefleischten ftrechters. Die Reise durch alle (mit)erleben Freuden und Leiden, Schmerzen und Uücksgefühle, Höhenflüge und Tief-:hläge, Geburten und Sterbefälle, Träume nd nackten Tatsachen des Absolventen am trechter Konservatorium in den Fächern esang, Geige und Musikpädagogik begann n Dienstag um 20 Uhr mit seinem Lied Grand Hotel“ beim Hotel Maritim in Würzburg.

..Welcome im Grand Hotel Deutschland!“ ) hieß das schon allein seiner zärtlichen ld zugleich rauhen Sing- und Erzählimme wegen von Kindern bis Großeltern «schwärmte Allround-Multi-Talent seine nd 1000 Zuhörer und -schauer willkom-en. Die Begleiter des 47jährigen Lebenskünstlers auf der Klang-Reise durch die europäische Gesellschaft: der in De Bilt geborene Erik van der Wurff (47) am Klavier und Nard Reijnders (41) aus Venlo am Klavier und Saxophon.

Wohl und schwarz behütet trat das van-Veen-Trio den dreistündigen, melodischen abendlichen Spaziergang bei rotem Sonnen- oder Mondschein von Würzburg nach Würzburg an.
„Ich war ein unheimlich häßliches Baby“, gestand der gereifte Holländer ganz offen und ehrlich ein. Von seiner Babyzeit ausgehend, führten seine Gedanken-Sprünge zum Kriegsende und zum „Baby-Widerstand“. „Von diesem Rotz gibt es auch Fotos. Das Haus Nr. 52. Von den Leuten, die es bewohnten, wird wohl keiner mehr wiederkommen.“ - Van Veens Anmoderation zu seinem Lied „Ein Foto“ (Text von W. Wil-mink, deutsche Übersetzung von T. Woitke-witsch). Gemeint sind bei dem Titel „Fotos von Razzien, wo die deutschen Spezialisten antraten zur Judenhatz“.

Spontaner Stimmungswechsel: Van Veen, diesmal in seiner Rolle als Vater, setzt sich auf eine alte Kiste und telefoniert (mittels Mikrofon) mit seinem Kind. Es ist alleine zu Hause. Hat Angst. Mama ist beim Bodybuilding. Papa beruhigt es auf seine Art - neben der Arbeit, dem Musikmachen — und singt dem Kleinen ein Stück. Auf Niederländisch, seiner Muttersprache, versteht sich! Das ge-ängstigste Kind gibt keine Ruh’.
Da muß die Oma an den Hörer. Hermann van Veens Mutter wünscht dem beeindruckten und faszinierten Publikum in Würzburg von Holland aus: „Alles Gute!“ Das nahmen die nicht wenigen hustenden, niesenden und schnaubenden Konzert-Besucher sicherlich gerne an. Und sie mußten sich ihrer vorrübergehend angeschlagenen Gesundheit wegen auch gar nicht schämen: Auch Hermann van Veen rotzte bei einer besonderen Einlage einfach auf die Bühne. Das geschah bei seiner komischen und seltsamen Imitation des Geräusches des „Krupuks“, laut van-Veen-Definition der „Jesus-Christus-Vogel“, der diesen würdevollen Namen trägt, weil er so schnell wie Jesus über Wasser gehen könne. Nach dem ersten, ganz leisen, aber immerhin geglückten Krupuk-Versuch schmiß sich der clowneske Holländer vor Freude auf den Boden. Schwieriger für den Allein-Unterhalter: Teil zwei - Vormachen des Geräusches eines schwangeren Krupuks. Nervosität und Hemmungen verdrängt der Tier-Imitator mit dem Lama-Gehabe. Die melancholische Seite des menschlich, sozial und politisch engagierten Stimmungsmachers lernten die Konzertbesucher in Würzburg kennen und bestimmt auch schätzen. Nicht zuletzt bei den Liedvorträgen „Vom Sterben“, „Cosa Nastra“ und „Du weißt nicht, was du siehst“. Ein Textauszug als Kostprobe: „Du weißt nicht, was du siehst, du siehst nicht, was du weißt. Du bist ein Mann und träumst vom Tod. Deine Welt ist schwarz vor Reue. Du denkst, wie glücklich ist die Frau, die da unbesorgt geht mit dem Kind im Schoß. Könntest du tauschen, du tauschest mit ihr, aber die Frau trägt seit Monaten schon so’n Krebsgeschwür.“ Zigmal verabschiedete sich Hermann van Veen von seinem Publikum, und zigmal trat er wieder auf die Bühne und sang. Sogar holländisch für 14 belgische und niederländische Landsleute. Ins Herz der Zuschauer eingeschlossen, schlenderte der energiegeladene Mittvierziger kurz nach 23 Uhr an seiner stehenden Bewunderern vorbei zum Ausgang.



Anja Landeck