Die Wahrheit
Jens Theo Müller

Herman van Veen - Unterhaltungskünstler aus den Niederlanden

Köstliche Unterhaltung und lehrreiche Erkenntnisse

15 okt 1979

Etwas verloren, wenn nicht fast schon grotesk, mutete es an, als Herman van Veen bei seinem jüngsten Gastspiel in Westberlin mit Vogel-zwitschem aus Lautsprechern, Konfetti und Kinderstiefeln und einem über dem Klavier auf gehenden, als Mond illuminierten Luftballon der sterilen Flughafenatmosphäre des großen Saals des ICC den Kampf ansagte und der Phantasie einen Weg freitrommelte.


Herman van Veen ist in seiner niederländischen Heimat längst der Star Nummer 1, und auch bei uns füllt er inzwischen die größeren Säle; schwer vorstellbar ist jedoch, daß er hier - wie in den Niederlanden - die Seichtmacher im Unterhaltungsgeschäft von den Spitzenpositionen verdrängen könnte.
Doch angesichts des kulturellen Engagements des Niederländers, das auch einen Film und eine Zeitschrift hervorbrachte, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er kunstvolle Entwicklungshilfe leistet. Denn Herman van Veen seigt all den hiesigen Showstars, Entertainern und Blödelkünstlern, die mitgeholfen haben, daß in unseren Conzertsälen das große Gähnen und lumme Kichern Einzug gehalten hat, vie man sein Publikum köstlich uiterhält und trotzdem lehrreich Erkenntnisse und Wahrheiten vermittelt.

Wie er das macht, hat Herman van Veen zur Freude des Publikums auch bei seinem jüngsten Auftritt im ICC eindrucksvoll demonstriert. Viel Aufwand betreibt er nicht. Fünf Begleitmusiker, einige Requisiten, selten einmal Geräusche vom Tonband; das alles (die Musiker eingeschlossen) sind nur Hilfsmittel, um seinen Gesang, sein Geigenspiel, seine gesprochenen poetischen Texte und seine musikclownesken Nummern besser zur Geltung zu bringen.

Insofern keine Show, die konsumiert werden will, sondern mehr Kleinkunst, die zum genauen Zuhören und -schauen und zum Mitdenken auffordert. Denn ohne Mitdenken, ohne die eigene intellektuelle Leistung des Zuschauers, der Pointen und Ironien nachforschen muß, ist sein Auftritt nicht denkbar. Sei es nun die im Calypso-Stil gehaltene Harry-Belafonte-Parodie aus Kolonialherrensicht ("Afrika ist wunderschön, wenn man bedenkt, was da im Boden steckt und an den Bäumen hängt"), sei es der im Pidgin-Englisch geführte Kampf mit der "aufmüpfigen" Conga, der er androht, sie wieder nach Südafrika zu schicken, oder die Fischer-Dieskau- Version vom berühmten Vater mit seinem Kinde, der durch Nacht und Wind reitet - das alles ist doppelt so schön, wenn man weiß, um was es geht. Der informierte und mitdenkende Bürger ist angesprochen, Universitätsabschluß zwar nicht erforderlich, aber erwünscht, und die soziale Stellung der Besucher - so etwa zwischen Lehrer und Vernissagebesuchern - zeigt, daß Herman van Veen sein Publikum gesucht und gefunden hat. Oft genug deshalb auch Lieder, vor allem Liebeslieder, aus dem Problemkreis der Generation "um die 30" (Mädchen aus verflogenen Tagen).

Doch wenn er, wie in "Ich lieb dich noch", die berüchtigte "Beziehungskiste" behandelt, hält er den Betroffenen nicht ohne Ironie einen Spiegel vor. So ist er auch weit davon entfernt, eine neue Innerlichkeit zu predigen, sondern behält es sich vor, gesellschaftliche Mißstände eindringlich zu schildern und zu kritisieren. Das tut er beispielsweise in einem seiner stärksten Stücke (Papa, Mama, ich bin wieder da), wo er den Selbstmord einer ehemaligen Fixerin beschreibt, die, nachdem sie "clean" aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, zu Hause dieselbe Oberflächlichkeit und Leere wieder vorfindet, vor der sie zu den Drogen geflüchtet war. Oder wenn eine Mutter stolz über den Werdegang ihres Sohnes berichtet: "Unser Klaus, zum Beispiel, ist Berufssoldat - ein Engel. Er war in Südafrika auf einem Flugzeugträger und hat sich eine sagenhafte Negerin mitgebracht."

Das alles wird durch Sketche, wie dem altbekannten von dem Star, der mit seinen nichtsnutzigen Musikern nichts als Ärger hat, locker und unterhaltsam verbunden und brillant vorgetragen. Für alle diejenigen, die sich auf Popkonzerten wie Greise Vorkommen, die für Udo Jürgens zu jung sind und denen Otto zu billig ist, für die ist Herman van Veen eine Entdeckung.

Das bestätigte das Publikum, das zum Schluß stehend applaudierte. d



Jens Theo Müller