Allgemeine Zeitung
Hans Peter Schickel

Großer Clown und Menschenfreund

Herman van Veen in der Mainzer Rheingoldhalle


Man könnte, so man wollte, als Rezensent dem 36jährigen Herman van Veen nach altbewährtem Selbstschutzkonzept abgebrüht gegenübertreten: eine recht intelligente Rezeptur für ein Programm, das auf Erfolg abzielt, mit einem Grad Wärme und Menschlichkeit, einigen Splitter Lebensphilosophie, die das Miteinander fordert und das Gegeneinander, die Bösartigkeit der Herrschenden nach linkskritischem Denkmuster verwirft. Das Ganze gepaart mit gekonnt beherrschten Elementen der Musik, Pantomime, Sprache und elektronischer Konserve und schon. steigen - zumindest bei einem bestimmten Publikum - Schallplatten umsätze, füllen sich Konzertsäle und Abendkassen.


Auf solch kaltschnäuzig saloppe Art würde man indessen Herman van Veen nicht gerecht, wiewohl sein Siebenmannbetrieb (die Technik nicht eingerechnet), der "in der sozial-kulturellen Ecke setzt", sicher auch auf Einnahmen angewiesen ist. Aber: während andere mit der Pflege gängiger Klischees in der Unterhaltungsbranche ihre Geschäfte betreiben, kreisten Herman van Veens Themen um Menschenverachtung und Grausamkeit der Gedankenlosen, um die Bedürfnisse und Sehnsüchte nach Geborgenheit und Wärme. Damit weist sich van Veen als Repräsentant der niederländischen Freiheitstradition aus, die - im Gegensatz zur deutschen - bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Auch an jenen Abschnitt niederländischer Geschichte, die mit Freiheit nicht in Einklang zu bringen ist, an die Kolonialepoche knüpft Herman van Veen kritisch an: "Indonesische Generale sind die nettesten Menschen, die für Geld zu haben sind. Und was fest im Sattel saß, sitzt plötzlich auf der Straß', doch nie mit leeren Händen."

Van Veen vermag das ganz ohne Ideologie, ganz ohne Parolen, einfach menschlich ergreifend mit starken, oft stummen Bildern, wie beispielsweise in seiner pantomischen Darstellung des Mannes hinter Glittern als eindringliches Symbol.

aller Gefangenen dieser Welt. Dabei kommt Herman van Veen eine solide "handwerkliche" Ausbildung als Musiker und Pantomime zur Hilfe, die ihn in die Lage versetzt, mit frappanten Brüchen in der Stilwahl die beabsichtigte Information eindringlich sichtbar zu machen. Bei welchem anderen Unterhaltungskünstler der Gegenwart, so muß die Frage nochmals lauten, werden solche Inhalte so packend transportiert?

Sicher hat der wachsende Erfolg Herman van Veens bei vornehmlich jüngerem Publikum auch einen Grund in seinem Selbstbild, das von Selbstironie durchdrungen ist. Der in weißem Hemd und weißer Hose mit hoher Stim eher dem Klischeebild eines Assistenzarztes entsprechende van Veen über sich: "Ich bin kein Kardinal, kein Admiral, kein Stimmenfänger, vielmehr ein Clown, ein Harlekin, ein kahler Sänger". In der Tat, als er zuweilen dastand mit seiner Geige, fast ein wenig hilflos und rührend, tauchten Bilder aus der Erinnerung auf, Bilder von einem Doktor Adrian Wettach, alias Grock, der wie van Veen ein großer Clown und Menschenfreund war.

So ist für van Veen die Frage nach dem größten Menschenverächter unseres Jahrhunderts eine ganz natürliche und nicht verdrängte Frage: "Was wäre, wenn Hitler seinen Kampf gewonnen hätte?" Es gäbe - so van Veen - nur noch ein Drittes Reich und keine Dritte Welt und keine Grünen, Roten, Penner, keine Fixer, Juden und Zigeuner, und "die Rüstung hätt's auch nicht so schwer, wenn es anders gekommen war'". Keine Frage für ihn, daß es den Milchreis unter das Publikum in der Rheingoldhalle streuenden van Veen auch nicht geben würde.

Der vielseitige Niederländer, der sicher nicht von ungefähr die Jugend seines Landes bei der UNICEF vertritt, gibt auf seine Weise viele Gedankenanstöße, und in dieser "Anstößigkeit" erreicht er etwas von dem, was von den alten Griechen Katharsis genannt wurde.



Hans Peter Schickel