Nürnberger Nachrichten
STEFFEN RADLMAIER

Der Clown hat den Blues

Sentimentale Reise zum Regenbogen: Die zwei wunderbaren Gastspiele von Herman van Veen in Nürnberg

14 mrz 1986

„Es wurde mein Leben: Musik machen und singen, tanzen und erzählen. Ich hab gewissermaßen eine Wäscheleine gespannt vom Traum zur Wirklichkeit. Es gibt natürlich immer mehr als genug Leute, die mir klarmachen, daß man an einem Traum keine Wäscheleine festknoten kann. Und tatsächlich stürzt alles, was ich daran aufhänge, regelmäßig auf mich hinunter, und dann flale ich quietschvergnügt auf den Bauch, denn ich weiß, daß nur im Chaos wie Pfingstblumen die Lieder blühen.“
Herman van Veen beschreibt in diesem kurzen Selbstporträt die Kunst und die Tragik aller Clowns, die dem Schicksal eine lange Nase drehen und sich dabei den Schädel an den Härten des Lebens blutig schlagen. Der Kampf ums tägliche Überleben ist todtraurig und zum Totlachen, wie man’s nimmt: Auf die Dauer hilft nur Clown-Power. Oder etwa auch nicht?



Melancholie bestimmt unübersehbar das aktuelle Programm des Harlekins aus Holland: Der Clown hat den Blues. Kein Wunder bei diesen Aussichten: Die Glatze wird immer größer, das Ende der Welt rückt immer näher und was danach kommt, wird sicherlich auch nicht viel besser. Immerhin fühlt das Publikum immer zahlreicher mit ihm: In der Nürnberger Meistersingerhalle wurde der Philosoph mit der Narrenkappe gleich zweimal hintereinander bejubelt. So wie bei allen anderen Auftritten seiner langen Tournee, die im letzten Jahr begonnen hat Die Zuschauer werden wieder große Kinder und folgen dem versponnenen Holländer gebannt auf seiner sentimentalen Reise zum Regenbogen. Die dauert mehr als drei Stunden, und Herman van Veen gibt Zugaben, solange es gewünscht) wird. Wahrscheinlich sind die Saalordner die einzigen, die sich nicht auf seine Konzerte freuen, die kein Ende finden.

Herman van Veen, der heute 41 Jahre alt wird, zieht Zwischenbilanz; er kommt wie immer durch den Saal auf die Bühne, im schwarzen Frack, mit zerbeultem Zylinder, Geige und Teddybär. Im blauen Dunst erwarten ihn seine vier Musiker, darunter natürlich der unentbehrliche Erik van der Wurff an den Tasteninstrumenten. Anders als im letzten Programm, wo sich alles um die Atom-Bombe drehte, fehlt diesmal ein zwingendes dramaturgisches Konzept. Fest steht nur, das Leben geht weiter — and the show must go on. Der poetische Unruhestifter, der so gerne Antwortqji geben möchte, setzt Fragezeichen. Die aktuelle Platte und das Programm dienen ihm nur als Spielvorlage, für Überraschungen ist genug Platz.

Der Clown ist stiller, nachdenklicher geworden, vor allem im ersten Teil kommt er nur langsam auf Touren. Mit Bravour spielt er eine Doppelrolle, zugleich Weißer Clown, der alles weiß, und Dümmer August, der alles kaputtmacht. Die Show ist inszeniert wie ein absurdes Theaterstück, es handelt auf sehr komische Weise von den letzten Dingen des Lebens. Luft- und Gedankensprünge zwischen Himmel und Erde. Beim „Jahrmarktslied“ fährt der Clown mit dem Publikum Geisterbahn, erschrickt vor der eigenen Courage und sperrt den Gevatter Tod in der Rappelkiste ein. Er zaubert mit Tischtennisbällen, spielt mit dem Endlos-Echo, jongliert mit Worten, stolpert über die eigenen Füße, steht wieder auf, verrennt sich in einem komplizierten Gedankengebäude und grinst einfach dreckig, wenn er nicht mehr weiter weiß. Er ist ein Meister im Schattenboxen und sinniert beim Anblick einer Brummfliege über die Existenz Gottes.

Aphorismen und Klamauk, poetische und politische Pointen alles in wilder Folge. Er singt holländisch, englisch, französisch und deutsch von Männerliebe und von Jesus, immer mit viel Gefühl. Dann parodiert er Angelo Branduardi, rapt wie ein Alter, spielt Rockgitarre und liefert eine glänzende Studie vom Tenniswunder BB in Zeitlupe. Die bekannten Lieder gab es erst bei der stundenlangen Zugabe.

Am Ende verschwindet der sensible Spaßmacher im Notausgang der Phantasie, immer dem Hoffnungsschimmer nach. Und die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens lautet:„floe-begab stobeleabflopflopflee ...“


Aktuelle LP: Herman van Veen, „Auf dem Weg'' zu dir“ (Polydor)



STEFFEN RADLMAIER