Junge Welt (DDR)
Volker Kluge

Holländischer Sänger Herman van Veen: Nein zu NATO-Raketen und „SDI"

Meine Lieder sollen Signale setzen

14 feb 1986

Im kleinen Dorf Haastrecht — rund 35 Kilometer von Utrecht entfernt — sind zwei berühmte Holländer zu Hause: Eisschnelllauf-Welt- und -Europameister Hein Vergeer und der Sänger, Komponist und Texter Herman van Veen. Die meiste Zeit des Jahres sind beide aber auf Tour, und wenn sich Herman van Veen gerade in Haastrecht aufhält, dann der Schulferien seiner Kinder wegen. Der Urlaub ist allerdings nur kurz. Nächste Woche ist er schon wieder unterwegs und kommt dabei auch in die DDR, wo er während des 16. Festivals des politischen Liedes auftreten wird.

Was fällt Ihnen zur DDR zuerst ein?
Ganz aktuell ihre phantastischen Eisschnelläuferinnen, und das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil unser Weltmeister — Hein Vergeer — mein Nachbar ist. So unterhalten wir uns häufig über den DDR-Sport. Und dann wirkt bei mir noch immer mein vier Jahre zurückliegender Auftritt im Berliner Palast der Republik nach. Das Publikum war grandios, und ich war völlig überrascht, wie es mitging, meine Lieder schon kannte. Ich hatte den Eindruck, als wäre ich bereits viele Male vorher in der DDR gewesen und fühlte mich sofort heimisch.

Diesmal sind Sie Mitwirkender bei einem Festival des politischen Liedes. Wie politisch sind Sie?
Wenn man das parteipolitisch meint, dann fühle ich mich nicht angesprochen. Ich bin an keine Partei gebunden. Jedoch bin ich in einer sozialistischen Familie aufgewachsen. Im Hungerwinter 1945 — wenige Tage vor unserer Befreiung — wurde ich geboren, und die Tatsache, daß mein Vater im antifaschistischen Widerstand war, hat für viele Jahre die Gesprächsthemen in meiner Familie bestimmt, mir sehr viel bedeutet und mich in meiner Entwicklung beeinflußt. Heute habe ich eine humanistische Grundposition. Ich bin gegen Ausbeutung und Unfreiheit, und insofern sind meine Lieder durchaus politisch.

Auf der Bühne zeigen Sie sich sehr wandelbar, nutzen häufig auch Möglichkeiten des Komischen, Clownesken. Paßt das zu den wichtigen Themen, die oft den Inhalt Ihrer Lieder prägen?
Ich sehe mich als Unterhalter, jedoch nicht als Spaßmacher. Wenn ich Clown bin, dann ein politischer. Mein Talent kommt hier am besten zum Tragen. Und ich meine, daß man selbst über die ernsten Dinge der Welt singen und sprechen, aber im Auge trotzdem immer ein kleines Licht haben kann.

Ihr vorletztes Lied hieß „Signale setzen". Welche Signale wollen Sie damit setzen?
Das ist mein Aufruf, mehr Solidarität mit jenen in der Welt zu üben, denen es nicht so gut geht wie uns. Man muß sich den Wahnsinn einmal vorstellen: Für die Hochrüstung werden in jedem Jahr viele Milliarden ausgegeben, gleichzeitig sterben in der „Dritten Welt“ aber täglich 40 000 bis 50 000 Kinder. Mir geht es deshalb in meinen Liedern um mehr Mitgefühl, bisweilen fühle ich mich aber auch in’ Holland als einsamer Streiter.

Können Lieder Elend beseitigen?
Sicher nicht, doch bestimmt können sie mobilisieren, kann man damit eben Signale setzen. Ich habe meine Gefühle und teile sie mit. Und weil das eben nicht ausreicht, bin ich seit zwanzig Jahren beispielsweise Botschafter meines Landes bei der Kinderhilfsorganisation UNICEF. Ich verstehe das nicht nur als Amt, sondern bemühe mich, nach besten Kräften zu helfen: So 'habe ich zusammen mit einem Freund die Stiftung „Colombine" ins Leben gerufen. Das ist der Name eines Harlekins, und auf den Philip- pinen verbirgt sich heute dahinter eine Kooperation von 150 Frauen, die dadurch Arbeit bekommen haben. Ein anderes meiner Projekte entsteht gerade in Äthiopien. Ich nutze meine Konzerte, um Geld für die Bewässerung des Landes aufzubringen. Voriges Jahr gelang das schon in Graz mit Hilfe einer Fernsehaktion. Danach konnten Wasserpumpen für Äthiopien gekauft werden. So gesehen haben meine Lieder nicht nur ideelle, sondern ganz praktische Bedeutung.

Auf der Amsterdamer Universität sind Sie einer derjenigen, der den holländischen „Pädagogischen Frie-densstuhl" innehat. Was ist darunter zu verstehen?
Das ist ein akademischer Lehrstuhl zu Problemen der niederländischen Friedensbewegung. Wir organisieren z. B. Fernsehdiskussionen. Ich bin ein entschiedener Gegner der Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in meinem Land, und deshalb trat ich auch schon zweimal als Sänger bei Friedenskundgebungen auf.

Danach hat die niederländische Regierung aber trotzdem beschlossen, die NATO-Raketen zu stationieren. Macht Sie das mutlos?
Nein, denn erstens sind die Mittelstreckenwaffen noch nicht in Holland, und bis zuletzt werden wir uns gegen sie wehren, und zweitens sehe ich in der Friedensbewegung mehr als eine Protestgruppe. 4,5 Millionen Menschen haben sich bei uns gegen die Stationierung ausgesprochen, und daran wäre wohl vor zehn Jahren noch nicht einmal zu denken gewesen. Doch durch die ungeheure Polarisierung der Kräfte, haben auch die Holländer begonnen, darüber nachzudenken, daß wir ja alle im selben Raumschiff sitzen. Friedensbewegung — darin liegt ein ganz enormer Gedanke, sich mit dem scheinbar unabänderlichen Kreislauf Krieg—Frieden nicht einfach abzufinden. Deshalb auch mein hypothetisch klingendes Lied „Die Bombe fällt nie". Für mich verkörpert sich darin der Optimismus der Friedensbewegung, Wege zu wissen, um unsere Vernichtung abzuwenden.

Die USA-Regierung arbeitet gegenwärtig am „SDI"-Projekt und will auch im Weltall hochrüsten. Zur gleichen Zeit unterbreitet Michail Gorbatschow den Vorschlag, bis zum Jahre 2000 in einem Drei-Stufen-Plan die Welt von allen Atomwaffen zu befreien. Was bewegt Sie angesichts solcher Gegensätze?
Ich vermag nicht strategisch zu beurteilen, ob „SDI" der westlichen Welt einen Schutz bietet oder nicht. Doch ich lehne es überhaupt ab, mir darüber Gedanken zu machen, weil allein diese für mich schon pervers sind. Die USA haben nicht das Recht, Systeme zu erfinden und am Himmel zu stationieren, die das ganze Menschheitsgeschlecht ins Verderben stürzen können. Dagegen sehe ich die Ernsthaftigkeit, mit der die Sowjetunion ihre Verantwortung wahrnimmt und darangeht, die uns alle belastenden Probleme zu lösen. Für mich ist der Gorbatschow-Vorschlag nichts, was auf Publicity ausgerichtet ist. Ich erkenne die Hand, die dem Westen gereicht wird. Der darf sie nicht ausschlagen - um unser aller Leben willen. Wann werden Sie in der DDR auftreten? Am Sonntag, dem 23. Februar, und für den nächsten Tag ist beim Fernsehen eine Talk-Show mit Gisela May vorgesehen. Ich freue mich sehr, weil ich zu Freunden, Gleichgesinnten fahre.



Volker Kluge