Rheinische Post,
DIETHELM ZUCKMANTEL

Herman van Veen in der Tonhalle

Das Lachen verschluckt

13 okt 1984

Herman van Veen ist wieder da. Schweißnaß klettert er nach zweieinhalb Stunden Bühnenstrapazen durch die Sitzreihen seiner Fans, die sich gar nicht beruhigen wollen. Alle rufen "Herman", jeder will ihn einmal anfassen, er wird umarmt, beklopft und geküßt, nicht nur von der Damenwelt.


Weis aber ist so Besonderes ein diesem seinft-schleiksigen Holländer, daß die Begeisterung des Publikums keine Grenzen kennt, daß er gar vier Tage hintereinander die Tonheille mieten muß, um der Nachfrage nach Karten überhaupt beizukommen?
Herman van Veen ist ein Unikum, und dies ist zum Ventil geworden. Für uns - die Ängstlichen, die Zaudernden, die Gehemmten, die wir uns nicht trauen, aber nachher sagen: "hättest du dochfür uns singt Herman seine zärtlichen Lieder, tanzt er seinen wilden Bühnenveitstanz. Er findet die Worte, die jeder auf der Zunge hat Was leise sein muß, haucht er ins Mikrophon, doch was heraus muß, das brüllt er, daß die Spucke fliegt. Und deshalb liebt ihn das Publikum, weil er zum Sprachrohr für das Lebensgefühl sehr vieler Menschen geworden ist Hinzu kommt freilich Herman, der Künstler. Es ist keine Übertreibung: Dieser Mann gehört zu den' allerbesten Entertainern der Welt. Was er in einem nicht enden wollenden Wirbelwind von sprühendem Witz und neuen Ideen als Musiker, Sänger, Clown, Pantomime, Tänzer und was weiß ich alles auf der Bühne bringt, ist so perfekt, daß man nur staunt - . .. .

Und wenn es nicht so vollendet ist, dann wird eben das Un-Perfekte zum Gegenstand des Lachens oder Nachdenkens, wenn nur die rote Clownsnase oder der alte Trenchcoat (ganz wenige Hilfsmittel also) eine eigene Stimmung erzeugen.
Mitte und Motiv der Show ist der Ball, das Runde, das für van Veen auch für das Abstrakte, für die Phantasie steht. Ob als große Kugel, die von der Decke schwebt, gelb angestrahlt als Mond, oder als Pingpongball, mit dem herrlich blöd gezaubert wird. Links'ist er nicht, rechts ist er nicht, ja wo ist er denn? Alle haben gesehen, wie der Clown ihn in den Mund gesteckt hat Er will es aber nicht merken, palavert weiter mit Beulen in der Backe und verschluckt endlich das eigene Lachen.

Herrn ans Liebe für die Frauen bedarf keiner Worte; auf der Bühne ist er manchmal einfach Frau. Er schiebt den Kinderwagen, hängt Wäsche auf, liest dem Baby vor, hadert mit Petrus, der es gerade dann regnen läßt, wenn das Kinderwagenverdeck heruntergeklappt ist Schließlich muß das Kind vor dem Vater (in Uniform) gerettet werden, der es mit einem riesigen Teddy ersticken will. Ein wahnsinniger Tanz auf Stöckelschuhen, eine Schlagzeugeinlage, Geigenspiel und immer wieder Lieder folgen in tollem Tempo.? - V. Die Musik (Nard Reihnders, Saxophone, Akkordeon; Chris Lookers, Gitarren; Cees von der Laarse, Bass; Erik van der Wurff, Keyboards) ist wie immer bei van Veen- Konzerten, erstklassig. Sie erzählt auf ihre Weise vom Sichverstehen. Aber für Herman kann Musik noch mehr, als die Instrumente können. In der Show spricht er ja auch Japanisch, seine Art Afrikanisch, Russisch, ohne zwar selbst ein Wort von seinem Kauderwelsch zu verstehen; aber in seiner großen Musikalität trifft er den Ton des Fremden so haarscharf, daß man wirklich den Japaner Hermanoki, der gegen das Runde für das Viereck plädiert vor sich sieht.

Einige Lieder Herman van Veens sind anders als die früheren. "Signale" heißt die Show, und darunter versteht der Künstler heute auch, daß er durch die Wohnzimmergardine weiter schaut was draußen plissiert Cruise Missiles, Terror in Südamerika, Ausländerfeindlichkeit bei uns.
Doch hier heißt es Vorsicht! Wenn Herman sanft von der argentinischen Mutter singt die ihren Jungen nur noch von Photos kennt wenn da zur gefühligen Mollkadenz der sammetweiche Altsaxophon-Ton schwelgt, wenn die Raketenfrage mit Musik gelöst werden soll, die manchmal allzu sehr nach Schmuseplatte klingt dann sind leise Zweifel angebracht.

Ob da der glaubwürdige Mensch Herman van Veen über Dinge singt, die ihn bedrücken, oder der trendsichere Star Herman van Veen sich aus der Problemkiste bedient - diese Frage kann nur einer beantworten: er selbst.



DIETHELM ZUCKMANTEL