ZOLLERN ALB KURIER
Udo Eberl

Er fragt sich, was ein Baby so träumt

13. Mai 1992

Der singende Poet , Herman van Veen ist seit Beginn des Jahres im wahrsten Sinn der Worte wieder voll auf Touren, denn die Konzertreise mit dem aktuellen Programm wird wegen der großen Publikumsnachfrage bis 1993 dauern. In der an zwei Abenden ausverkauften Stadthalle Aalen zeigte der Star, den Kinder wegen seiner Ente „Kwak“ mittlerweile fast besser kennen als die erwachsenen Fans, sein neues, sehr facettenreiches Gesicht.


Schon die surreale Bühnenlandschaft machte klar, daß bei van . Veen nicht mehr melancholisch eingefärbte Pastelltöne ¦ vorherrschen. Er bezog in sein zweistündiges Singspiel neben Schönfärberischem auch Grauwerte und sattes Schwarz mit ein. Der Kontrast eines Schachbretts zog sich wie ein Faden durch den live umgesetzten Traum aus Liedern, Geschichten und Bildern.

Da lag ein überdimensionierter Telefonhörer an der Rampe, hing eine lebensgroße Puppe mit schlaffen Armen über einer Musicbox, und ein plüschiger Bär tänzelte durchs Bild. Konstant war nur eine knallrote Sonne am Bühnenhimmel, die genau die Lebendigkeit der Szenenfolge widerspiegelte.
Natürlich ist Herman van Veen noch sentimental. „Ich hab’ mich schon so oft gefragt, was ein Baby träumt“, rätselte er, der sich selbst noch immer mit Vorliebe in die unbegrenzten Fantasien von Kindern und Greisen wirft. Ein Romantiker ist er nicht mehr, das bewiesen die trockenen Spitzen, wie die zum Muttertag: „Meine Mutter ist für jeden da. Auf ihrem Grabktein steht wohl auch: Ich liege hier nicht für mich.“ Er ist bissiger, und als tolpatschiger Zauberer, der versehentlich das Skelett eines vergessenen Häschens aus dem Hut zieht, begeisterte er ebenso wie als trinkbeseelter Musikclown.

Die Palette von Herman van Veen reichte vom plattesten Witz bis zu tiefsinnigen Wortspielen und grenzwertigem Sarkasmus. Und manchmal war er einfach still, ließ ein klappriges Schiff, dessen Segel der zum Engel gewordene Vater war, seine Gedanken und Träume transportieren. Bilder, perfekt inszeniert und aufwühlend. „Lieber Gott, was machst du, wenn wir Menschen nicht mehr leben?“ fragte er nach oben gerichtet, um sich dann einer herrlich instrumentierten Version von Leofiard Cohens „Suzanne“ zu widmen.

Natürlich waren im Programm von van Veen, der nur selten am Instrument zu treffen war, auch die „Stillen“ vertreten: „Weißt du, wie es war“, „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl“ oder der Vaterstolz-Song „Anne“. Dem Verfechter der Unbefangenheit ging es allerdings auch um Entblößung, Seitenhiebe („In jedem von uns steckt ein Stasi!“) und Parodie. In einem Sinatra-Song verwandelte sich van Veen in eine Show-Marionette, wie er sie selbst Rißjat sein will, und im Finale konnte^,,seine beiden hervorragenden Musiker Erik van der Wurff, Flügel,- ¦ und Nard Reunders, der Multi-Instrumentalist, erneut ihre ganze Klasse zeigen.

Natürlich wollten die Fans, inzwischen völlig aus dem Häuschen, ihren ¦ Schwarzweiß-Helden nicht einfach so gehen lassen. Den kleinen Fratz wollten sie und bekamen ihn noch zu hören und dankten es dem Niederländer mit einem Gefühlshoch, den so begehrten Standing ovations. Der Meister, nun fern vom Softie, endete dennoch überraschend als twistender Rock ’n' Roller in kniefreien Flatterhosen, denn van Veen zeigt nicht mehr nur Herz, sondern auch Bein.

Am Ende hatten die Besucher eine Show von zweieinhalb Stunden gesehen, die jeden Pfennig wert war.

Der neue van Veen, auch als stimmgewaltiger Sänger, ist so gut wie nie zuvor.



Udo Eberl