Westfalenblatt
Heidi Wiese

»Mir wird klarer, wo das Lieht nicht herkommt«

Hermann van Veen in der Bielefelder Stadthalle - Meisterhafte Stimmungswechsel

13. April 1992

Bielefeld (WB). Ein Vierteljahrhundert lang reist Herman van Veen (47) mit seinem »zärtlichen Gefühl«, seinen Liedern, seiner Musik, seinen Pantomimen und seinem stets über die Rampe strahlenden Engagement für die Schwachen in der Gesellschaft, die wehrlos Liebenden, bereits kreuz und quer durch die Welt - aber »so etwas habe ich noch nicht erlebt«, versicherte er an Ende seines gut dreistündigen ersten von zwei Konzerten in der Bielefelder Stadthalle. Gemeint war die »Konfrontstion« des Entertainers der überwiegend leiser Tõne mit einem offenbar geistig behinderten Mann in Publikum, der immer wieder auf seine Weise mitsang.


»Wir müssen das akzeptieren«, meinte van Veen, nachdem er sich informiert hatte. Nach dem Konzert, emotional noch sichtlich berührt, erklärte er: »Das war sehr lehrsam für mich. Was er dachte, hörte man. Wir denken nur während er primär reagiert. Das macht auch dankbar. Es war sein Konzert«. Von der (zweimal ausverkauften) neuen Bielefelder Stadtthalle insbesondere von der »grandiosen Akustik, zeigte sich van Veen begeistert.

Die Haare etwas gelichteter und ergrauter, die vergißmeinnichtblauen Kirderaugen aber noch so bereit zum Staunen wie damals, als sein »Ich hab'ein zärtliches Gefühl« zum Ohrwurm wurde (»Eines der wichtigsten Lieder. die ich je gesungen habe, aber nur in Deutschland wählt das Publikum das«), ist Herman van Veen mit seinem neuen Programm auch deutlich bemüht, sein »liebes« Image aufzurauhen. Die meisten alten Hits hebt er sich für die dem begeistert applaudierenden Publikum bereitwillig gegebenen Zugaben auf.

Das Programm selber ist eine aus den verschiedenen Facetten seines Könnens fast nahtlos zusammengefügte, perfekt choreographierte Show, in der Kleinkunst-Variationen mehr als gleichberechtigt neben den Liedern stehen. Die beiden altbekannten ivfusiker Erik van der Wurff und Nard Reijnders untermalen meist zurückhaltend mit melodiösen, die Stimmung pointiert charakterisierenden Arrangements, übernehmen aber auch immer mal wieder kurz die Hauptrolle.

Thematisch reicht der Bogen vom bösen »Grand Hotel« Deutschland über die Welt aus Baby-Perspektive und die allzu selbstlosen Mütter oder gebrochene Liebeslieder und Cohens »Susan« bis zu einer bedrohlichen, an Marionetten-Fäden dargebotenen Mafia-Parodie samt Sinatras »My Way«. Dazwischen setzt van Veen, ganz bis in die kleinste Geste souverän beherrschtes Können, meisterhaft im Wechsel der in der Essenz getroffenen Stimmungslagen, auch mal aufwendig eine Traumsequenz um, zaubert ein bißchen, sorgt pan-tominisch für atemlose Stille, dreht auf grell Kabarettistisches auf oder fiedelt. Zwischendurch schreckt er seine Zuschauer unvermutet aus der allzu besinnlichen, betroffenen Stimmung hoch und bringt doch noch quasi nebenbei eine Reihe von Überlegungen ein, die ihm am Herzen liegen.

Wie eine Art Boot empfindet sich van Veen auf der Bühne, erzählt er nach dem Konzert, möglichst getragen auf der Welle des Vertrauens und möglichst ganz erfüllt von positiver Energie, wobei ihm das Licht besonders wichtig ist. »Wenn wir uns nicht vertrauen, fallen wir aus dem Leben. Ich glaube, Zivilisation ist positive Energie. Wenn ich diese Energie durch meinen Körper gehen lassen, dann bin ich echt, dann ist Kommunikation mit dem Publik möglich«.

Er singe nur Sachen, die ihn wichtig sind, wobei ihm klar ist daß es auf der Bühne und mit seine Platten nur eine Elite erreicht. Und er ärgert sich, daß weltweit immer nur die Höhepunkte seiner Auftritte im Fernsehen gezeigt werden. "Unbequem« sei er für dieses von der Werbung beherrschten Medium. Deshalb versuche er, mit seinen Live-Auftritten das große Publikum zu erreichen. Ist er unbequemer geworden im Laufe dieses Vierteljahrhunderts'’ »Schon.
Es wird mir immer klarer, wo Schwarz ist und wo das Licht nicht herkommt. Für mich persönlich ist es einfacher geworden, die Wahrheit zu sagen.

Aber das Zugänglichmachen dieser Wahrheit wird schwieriger«.



Heidi Wiese