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SIEGENER ZEITUNG

Gestern abend in der Siegerlandhalle

„Händler der Träume“ verzauberte sein Publikum

Herman van Veen von 2000 Besuchern stürmisch bejubelt - Ausflüge ins Reich der Phantasie

13. Maerz 1992

Siegen. Der rote Mond ist aufgegangen. Nein, nicht über der Bourbon-Street, sondern in der Siegeriandhaile. Er beleuchtet eine prächtige Musikbox aus jenen vergangenen Tagen, als die „Mucke“ noch ausschließlich von Hand gemacht wurde. Ohne Sequenzer und Computer, Overdubs und andere kosmetische Korrekturen am Kling-Klang der manchmal blechern tönenden schwarzen Scheibchen. Da zahlte nur die Melodie, die sich im Ohr festkrailte oder zum anderen wieder hinausschlüpfte. Im Gegensatz zur „Wurlitzer-Music-Machine“ ist der holländische Liedermacher, Clown und Poet Herman van Veen, auch wenn er sich selbst als Nachfolger der umherziehenden Troubadoure des Mittelalters sieht, mehr als em liebenswerter Anachronismus.


Der Mann mit der Geige und dem so wunderbar clownesken Haarkranz hat auch heute noch etwas zu sagen, zu singen, zu gaukeln. Obwohl das Multitalent gestern abend zum wiederholten Mal unter dem Kronchen weilte, kamen 2000 Menschen von sechs bis 60 in die Siegerlandhalle, um den alten und neuen Liedern zu lauschen.

Leicht und locker

Klar, auch ein Herman van Veen, der so oft die Freiheit des Individuums beschwört, hat die Hegeln des Show-Biz verinnerlicht. Die Gags sitzen wie angegossen, auch wenn sie jetzt, zu Beginn der langen Tournee, noch so herrlich spontan wirken. Der „Händler-der Träume“- - und das ist das Schöne —lacht immer-noch über seine eigenen Pointen, labt sich an der Freude des Publikums. Jeder unten im Saal weiß, wie schwer es für einen auch noch so begnadeten Solisten ist, das Publikum mehr als 150 Minuten lang zu fesseln. Faszinierend, mit weicher Leichtigkeit und Lockerheit der Holländer diese schwierige Aufgabe löst.

Lied nach der Wende

Vom ersten Moment an hat van Veen den Saai fest im Griff. Er schlurft im Schlabber-Look, Modell „Armer Poet '92“, auf die Bühne. Als Opener in holländisch gesungenes Stück, danach "Grand Hotel Deutschland“ Ein Lied nach der Wende.
Gedankenfetzen ohne den drohend erhobenen Zeigefinger. Sie treffen trotzdem den Punkt, regen zum Nachdenken an. Aber schnell entpuppt sich der politische Sänger als Clown und Zaubermeister, der mit Konfetti die Welt - nein, nicht verändern - bunter und lebenswerter gestalten will. Gerade wenn die Tricks mißlingen, hat er unser aller Sympathie.

Schnell schlägt die Szene um. Mit knappen Handbewegungen dirigiert van Veen die donnernden Klatschsaiven des Publikums, das ihm buchstäblich aus der Hand frißt: Schaut her, so leicht seid ihr zu manipulieren! Aber die Heise geht weiter! Van Veen singt über seine Mutter, sinniert über das Leben aus der Sicht eines Kindes, schreckt aber auch vor platteren Scherzen — manchmal unterhalb der Gürteilinie - nicht zurück. So ist halt das Leben. Sekt oder Selters. Espnt und Kalauer.

Kleine Freiheit im Kopf

Van Veen de Luxe gibt es immer dann, wenn er ins Reich der Phantasie startet, sein Vater ein Schiff mit Flügeln und die Mutter eine Nonne ist, oder er sein Haus mit dem Autoschlüssel auf-, schließt und ganz einfach losfährt. In diesen Momenten bncht sie aus, die kleine Freiheit im Kopf. Plastischer wird es, wenn Van Veen- mit dem Plüschbären tanzt, hinter einem Riesenhaschen herhoppeit. Er singt eine unter die Haut gehende Version von Cohens „Suzanne“ und parodiert Frank Sinatras „My Way“ glänzend. Denn toll singen, das kann Van Veen neben allem anderen auch noch.
Eine richtige Künstlerseele saugt natürlich alles auf, was um sie herum abgeht. Klar, daß ein Chicago-Aufenthalt van Veen zu eitusn heißen Big-City-Blues animierte. Folgerichtig geht bei „Sweet Home Chicago“ gnadenlos- die Post ab. Ein Verdienst auch von van Veens musikalischen Mitstreitern Erik van der Wurff (Klavier und Sytheziser) und Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette und Akkordeon). Der gute Nard blies ein Sax-Solo, daß das Publikum vor Begeisterung juchzte.

Zum Finale der Kampf um die Zugaben. Mit donnerndem Applaus lockte das Publikum den sichtlich erschöpften, aber auch verschmitzt zufriedenen van Veen immer wieder auf die Bühne zurück. Trotzdem: Irgendwann ist Schluß, und draußen wartet der tnste Alltag.

Und der Stasi, der angeblich in uns allen steckt!