Die RheinPfalz
Tina Schüler

Wer sich zu träumen traut

Herman van Veens Konzert in der Kaiserslauterer Barbarossahalle

12 nov 1988

Ein in Scharen erschienenes Publikum, durch das sich ein schütterblonder Lulatsch mit Billardkugelstirn hindurchzwängt, einzelne betastet, sie intensiv fühlt, dann tänzelnd auf die Bühne steigt, um am Geschmack und Geruch seiner Hände „mh, Kaiserslautern“ abzulesen. So der Auftakt der Show mit Herman van Veen in der Barbarossahalle.


Imitierte Blitze, ein lautes Krachen, dazu tiefrotes Licht: Das alles bildete die Kulisse für „Bis hierher und weiter“, dem neuen Programm, mit dem der sympathische Mittvierziger aus Holland derzeit auf Tournee im deutschsprachigen Raum unterwegs ist.

Dieser Harlekin der Neuzeit ist ein Bündel von Qualitäten und ein Fächer von Talenten, tanzte er doch, mimte er den Schauspielesr und vor allem auch den Poeten an diesem Abend. Er gönnte seinen Fans nicht die geringste Ruhepause, wirbelte - und da wurde der gute Tänzer sichtbar - scheinbar schwerelos über die Bühne und „unterlegte“ so seine neu bearbeiteten schönsten Lieder vergangener Jahre.

Ein Idealist ist er, der Herman van Veen, ein Mutiger, einer von denen, die nicht so schnell aufgeben, auch wenn seine Titel von atomarer Bedrohung, Umweltkatastrophe und linkischen Politikern handeln. Am Ende steht immer ein Fünkchen Hoffnung, das er sich nicht nehmen läßt. Er überlebt einfach zwischen Realität und Möglichkeit als scharfsinniger Beobachter, der sich nicht ruhigstellen läßt.

Dabei wirkte die ganze Show ungemein routiniert, bis ins letzte einstudiert. Man merkte, daß ein Team am Werk war, das seit über 20 Jahren zusammenarbeitet. Es stimmte einfach alles: Technik, Licht und Soundmix, aber vor allem auch das symbiotische Zusammenwirken van Veens mit den Musikern (höchster Güte) Erik van der Wurff (Synthesizers), Nard Reinjnders (Sax, Klarinette, Akkordeon) und Cees van der Laarse (Baß).
Melancholische, verträumte Klänge lösten rockige Rhythmen ab, ergänzten sie auch und bildeten so fast hintergründig die Kulisse für das Multitalent van Veen, der mal als Clown, mal als leiser Poet, oder aber scharfzüngiger Satiriker alle nur erdenklichen Themen aufgriff. Er hielt den Leuten einen Spiegel vor, erschrak manchmal selbst bei dem Blick in denselben. Doch so verhärmt dieser Eulenspiegel unserer Zeit auch zuweilen wirkte, den Mut verlor er für keine Sekunde, als bedeuteten für ihn Musik und Spiel das Überleben schlechthin.

Aus Titeln wie „Es war Krieg“, „Griff ins Klo“, „Liebe“ und „Bis hierher“ sprach stellvertretend unbeirrbare Menschenfreundlichkeit, ja Verständnis, das dieser rastlose Romantiker mit fröhlicher Skepsis immer wieder aufbringt. Mit schon an das Naive grenzender Zuversicht beharrte er mit seinen Texten immer wieder darauf, daß unser heillos verspieltes Geschick doch noch die „Märchenkurve“ kriegt.

Van Veen alleine hören, genügt dennoch keineswegs. Man muß ihn erleben, diesen Tänzer, Sänger, Musiker, Schauspieler und Schreiber. Seine perfekt angelegte Bühnenshow mit ausgeklügelten Licht- und Tonarrangements reißt mit, taucht den Zuschauer in ein Wechselbad träumerischer Phantasien und banaler Realität. Die Barbarossahalle geriet zeitweise ebenso aus den Fugen, wie sie andererseits in eine Art Dornröschenschlaf eintauchte.
Da paarte sich clownesker Humor mit dichterischer Aussage, wurde die Kunst der Magie für die „Sache“ eingespannt, wurden Fragen wie „Wer erklärt mir das, wie man eine Splitterwelt zusammenfügt in Liedern ...“ ins Auditorium geschleudert, um gleichsam in hoffnungsvoller Zuversicht aufgefangen zu werden.

Und gerade dieser aufgegriffene Widerspruch war es wohl auch in seiner künstlerischen Aufbereitung, der van Veens Anhänger wieder einmal Gefühlswallungen versetzte, sie ansprach und zugleich amüsierte. Jeder, der gekommen war, so schien es, fühlte sich von den van Veenschen Worten „Ich hab‘ ein zärtliches Gefühl für den, der sich zu träumen traut; für jeden Menschen, wenn er nur vollkommen wehrlos lieben kann“ angesprochen.

Es war also mehr die Aussage des Künstlers, als die totale Show, die die Zuhörer ergriff. Sie entließen Herman van Veen erst nach dreistündiger harter Arbeit aus Kaiserslautern. Das zeigte noch einmal, daß der Prophet zumindest im Ausland doch noch etwas zählt, was stehende Ovationen und langanhaltender Applaus tatkräftig bewiesen.



TINA SCHÜLER